Die Schuld des Voyeurs

Die Geschichte von Lukrezia spielt in einem rein weißen Raum, ihrer besonderen Unschuld und Reinheit angemessen. Im streng strukturierten, kargen Bühnenbild von Jihyun Kang und Sungtaik Oh, das seine asiatischen Wurzeln nicht verhehlt, zeigt Katrin J. Knopp ihre Interpretation von Benjamin Brittens "The Rape of Lucretia". Zwischen den drei weißen Wänden, von denen die hintere verschiebbar ist und den Bühnenraum verkleinern kann, befindet sich nur ausgesuchtes Inventar: Ein Tisch, ein Lesesessel, ein paar weiße Sitzwürfel und später ein Bett reichen Knopp um spannendes, durchdachtes Musiktheater zu zeigen.

Mit durchweg sehr souveränen musikalischen Leistungen erzählen die Sänger das Drama von Lukrezia (Zoryana Kushpler). Sie ist unter all den einsamen Ehefrauen, deren Männer im Kriegsdienst verpflichtet sind, die einzige, die treu auf die Rückkehr ihres Gatten wartet. Aus Wut, Eifersucht und gieriger Lust fühlt sich einer der betrogenen Ehemänner (Tae-Hyn Kim) angespornt, sie ebenfalls zu beflecken. Als sie trotz seiner Verführungskünste standhaft bleibt, vergewaltigt er sie. Sie erträgt die Schande nicht und reinigt sich durch ihren Selbstmord.

Das klare Farbkonzept dieser Aufführung ist schwarz/weiß und versinnbildlicht das Thema von Schuld/Unschuld. Lukrezia ist zunächst ganz in weiß gekleidet, während sie nach der Vergewaltigung in schwarz erscheint. Die Schuld der Anderen hat Lukrezia trotz ihrer eigenen Unschuld unrein gemacht. Als Vorbote ihres Unheils hängt schon zu Beginn der zweiten Hälfte an der weißen Wand ein schwarzes Kleid. Ein kleiner Farbtupfer wird für die Blumenpracht des Frühlings gesetzt: In vier geraden Linien werden schlicht-grüne, jung-unschuldige Weidenbäumchen aufgereiht.

Britten benutzt für seine Oper das Mittel von berichtenden und kommentierenden Erzählern (Andreas Michalzik, Kathrin von der Chevallerie) auf der Bühne. Durch eine besondere Sichtweise auf diese Beiden erreicht Knopp eine sanfte Aktualisierung des leicht angestaubten Moralstückes. Sie werden als Leser und Zuschauer dargestellt, und zwar - da Mann und Frau - als Ehepaar, das kopfschüttelnd, anteilnehmend, mitleidig und neugierig beobachtet. Knopp sieht sie durch ihr bloßes Zuschauen beim Leid von anderen zu Mittätern werden. Beide schieben Lukrezia ihrem Vergewaltiger in die Arme und die Frau überreicht ihr schließlich den Dolch zur letzten Tat.

Das nach Neuigkeiten gierende Zuschauen kann die Lust an der Gewalt befördern - eine interessante These im Hinblick auf den stetig steigenden Konsum von Sensationsmeldungen in den Medien. Diese Medienkritik wird von Knopp nur in wohldosierten Andeutungen eingeflochten, die sich nie in den Vordergrund drängen. Man kann den Abend auch als ästhetisch perfekte Umsetzung einer rührenden Tragödie um Liebe und Ehre genießen, die durch die reduzierte Ausstattung die Gefahr von Schwülstigkeiten geschickt verhindert.

Birgit Schmalmack vom 27.9.02

Weitere Aufführungen:
Sonntag,den29.7. 2002, 18 h (B-Premiere)
1./ 3./ 5.Oktober 2002 jeweils 20 h, 6.Oktober 2002, 18 h

im Forum der Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Harvestehuder Weg 12 (Eingang Milchstr.) 20148 Hamburg

Karten zu 16 € ( erm. 8.50 € ) bei der Konzertkasse Gerdes Tel. 040-45 33 26 und 44 02 98

und alle bekannten Vorverkaufsstellen.