Die Realität ist nur virtuell

Was ist noch real, wenn jede Filmszene auch computeranimiert, wenn jedes beweiskräftige Foto auch retuschiert sein kann? Dieser Frage geht Jan Pusch in seiner Neuauflage "Into the Blue" auf Kampnagel nach. Er zeigt, dass man das Blaue vom Himmel herunter lügen kann, wenn man den Betrachter im Blau des flirrenden Bildschirmes versinken lässt.

In drei grandiosen bezwingenden Soli lässt er Tatsachen, mediale Verzerrung und Vortäuschung miteinander verschwimmen. Im ersten wirkt David Alexander wie von Kreisen und zuckenden Strichen fremdgesteuert, die durch seinen weißen Tanzraum zucken und seine Bewegungen vorzeichnen. Zeitweise wird sein muskulöser Oberkörper und seine beige Hose zur Projektionsfläche degradiert. Er versucht zunächst mit den Bildern zu spielen. Als sie zu vereinnahmend werden, versucht er unter ihnen wegzutauchen, doch sie fangen ihn immer wieder ein.

Im zweiten Solo fährt Wobine Bosch mit ihrer Hand immer wieder jede ihrer vollzogenen Bewegungen ab. Sorgsam filmt sie ihr Soli. Doch die Außen- wird zur Innensicht: Die Kamera gelangt durch ihren geöffneten Mund in ihren Körper. Sie versinkt zwischen der doppelt auf die Rückwand und den Gazevorhang vor der Bühne projizierte Reise durch ihre Adern, Flüssigkeiten und ihr Gewebe.

Paula Scherf schließlich bewegt sich in einem Raum, in dem nicht nur das Tapetenmuster sondern auch der Orientteppich rein virtuell sind. Darf sie sich zunächst noch auf einen realen Stuhl an einen realen Tisch setzen, wird es richtig verwirrend, als zwei weitere Ausgaben ihrer selbst auf der Rückwand beliebig an- und ausgeschaltet werden oder aus ihrem liegenden Körper weitere virtuelle Paulas wie kleine Insekten wegkrabbeln.

Jan Pusch hat in seiner Choreographie intelligent, sorgsam strukturiert und konzentriert Gedanken über die schöne, neue Wirklichkeit zu Bildern werden lassen: ein klug durchdachter und gleichzeitig sinnlicher Beitrag zur aktuellen Diskussion.

Birgit Schmalmack vom 1.3.04