Molly Sweeny


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Abendblatt


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Sehen und Verstehen

Ihr Vater tröstet seine blinde Tochter, dass sie nicht viel versäume. Er war für sie ihr Führer in die Welt des Riechens, des Fühlens und Ertastens. So entsteht Mollys ganz eigene Welt, in der sie lernt sich selbstsicher zu bewegen. Beim Schwimmen erfährt sie eine Welt reiner Empfindungen, um die sie die Sehenden eigentlich beneiden müssten.

Der Vater hat es geschafft seiner Tochter das Rüstzeug für ein eigenständiges Leben mitzugeben. Bis sie im Alter von neununddreißig den Träumer Frank kennen lernt. Enthusiastisch wie bei all seinen Projekten - der Züchtung von Bienen, Lachsen und iranischen Ziegen, stürzt er sich auf die blinde, schöne Frau. Wieder studiert er in der Bibliothek alle verfügbare Quellen über das Sehen und das Nichtsehen. Er hat ein neues Ziel vor Augen: Molly soll wieder sehen können. Er schleppt sie mit zu Dr. Rice, der wiederum seine große Chance gekommen sieht: Nach einem Karriereknick scheint dies ein sehr interessanter und ruhmträchtiger Fall zu sein.

Die beiden Männer verfolgen mit der Wiedererlangung von Mollys Sehkraft eher ihr eigenes Wohl. Liebenswürdig macht diese gerne die Menschen in ihrer Umgebung zufrieden. Ihren eigenen Willen zu erkunden und durchzusetzen hat sie nicht gelernt. Deshalb setzt sie den Wünschen der Männer nichts entgegen. Immer auf der Suche nach einem starken Mann wie ihrem geliebten Vater lässt sie sich auf Frank und Dr. Rice ein.

Jens Paarmann hat in seiner Inszenierung im Hamburger Sprechwerk ganz dem starken Text von Brian Friel aus drei ineinander verwobenen Monologen vertraut. Auf insgesamt sieben Stühlen sitzen die Darsteller in immer neuen Konstellationen wie in einem Wartezimmer eines Krankenhauses nebeneinander auf der leeren Bühne. Sie erzählen dem Publikum im Beisein der anderen Beteiligten ihre Sicht des Geschehenen. Susanne Pollmeier zeigt eine schüchterne, lieb lächelnde Molly, die niemandem weh tun und enttäuschen möchte. Selbst in der tiefen Irritation und Depression nach der Operation, die ihr das Augenlicht zunächst zurückbringt, mag sie niemanden einen Vorwurf machen. Wieder erfindet sie sich ihre eigene Welt - einen subjektiven Mix aus Fantasie und Realität. Andreas Schirra ist der jungenhafte, impulsive Frank, der sich mit Leidenschaft für immer neue Projekte begeistern kann. Seine Gefühle sind genauso echt wie wechselhaft. Oliver Törner spielt den Doktor als gebrochenen Mann, der sich hinter einer Fassade aus Arroganz und lateinischer Fachbegriffe mühsam einen Rest Selbstbewusstsein erhält.

Paarmann zeigt eine wahrhaft hanseatische Aufführung. Mit beiläufigem Understatement loten die drei hervorragenden Darsteller in perfektem Zusammenspiel diese drei Charaktere aus - ohne Effekte, Dekorationen oder Action nötig zu haben. Wie in einer guten Therapiestunde werden hier die wahren Beweggründe der Menschen gekonnt analysiert.

Birgit Schmalmack vom 3.5.05

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