Das Alter sollte verboten werden

Für eine Frau, die ihre Karriere und Anerkennung hauptsächlich ihrer erotischen Ausstrahlung und Schönheit verdankt, ist das langsame Verschwinden der äußeren Attraktivität besonders bitter. Wenn sie dann auch noch Freunde, Familie, ein Zuhause und Heimat für ihren Bühnenerfolg geopfert hat, können sich Zeiten des Missmutes und der depressiven Verstimmung einschleichen - selbst wenn diese Frau über eine preußische Disziplin verfügt, wie sie Marlene Dietrich besaß.

In "Marlene" lässt Judy Winter den Mythos wieder auferstehen. Sie verkörpert sie als herrische Diva, die einsam, selbstherrlich, egoistisch und dabei unberechenbar ist. Zwischen die üblichen Befehle und wehleidigen Vorwürfe gegenüber ihren Mitarbeitern mischen sich überraschende Anflüge von verständnisvoller Zuneigung und Interesse am Gegenüber, die sich jedoch ebenso schnell wieder verflüchtigen. Für all ihre Opfer, die sie ihre Karriere brachte, verlangt sie eben als kleine Entschädigung bedingungslose Bewunderung ihrer Person. Ihr eigentlicher Hunger nach wirklicher Beachtung und Liebe bleibt so unbefriedigt; das wird ihr besonders im Angesichts des nahenden Alters schmerzhaft bewusst. So nimmt sie 15 Jahre nach Ende des Weltkrieges das Angebot für eine Tournee in ihre verlassene Heimat Deutschland an. Doch die Deutschen begrüßen sie nicht mit dem gewohnten Jubel. Viele nehmen ihr ihren Weggang und ihre Beziehungen mit "geschäftstüchtigen" jüdischen Künstlern übel. Marlene, die sich so nach einer Heimat und einem Ort des Nicht-Fremdseins sehnt, hat schwer an dieser Ablehnung zu tragen.

All diese nicht ganz neuen Aspekte der schillernden Gestalt des blauen Engels werden im ersten Teil des Stückes von Pam Gems in der Bühnenfassung von Volker Kühn angesprochen. Er findet in der Garderobe als ein erinnerndes und reflektierendes Gespräch mit der Assistentin Vivian Hoffmann (Ulrike Jackwerth) statt. Der zweite Teil widmet sich dem abendlichen, ersten, großen Auftritt in Berlin. Jetzt verschmilzt Judy Winter entgültig ganz mit der Figur der Künstlerin. Wenn sie im Paillettenkleid Lieder wie "Einen Koffer in Berlin", "Lilli Marlen", bis zu "Sag mir, wo die Blumen sind" formvollendet interpretiert, scheint die Diva wieder lebendig geworden zu sein. Auch wenn Dramaturgie des Stückes wenig spektakulär ist, ist Judy Winter in dieser Rolle so sehenswert, dass die Zuschauer auch beim wiederholten Gastspiel im Ernst-Deutsch-Theater vollauf begeistert sind. Mit anhaltendem Beifall, über den sich auch eine Marlene Dietrich gefreut hätte, honorierte sie die Leistungen der Judy Winter.

Birgit Schmalmack vom 11.7.03