Süßer Vogel Jugend


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Schöne Oberflächen

Eins unterscheidet uns, meint die Ex-Diva Alexandra (Judy Winter) am Schluss zum ihrem Gespielen Chance (Armin Schlagwein). Beide seien sie von Leben gezeichnet. Doch sie hätte während ihres Lebens etwas geschaffen. Er dagegen nicht. Dabei ist er erst 29 Jahre alt und steht schon vor einem Scherbenhaufen. Im Gegensatz dazu sieht sie gerade wieder eine neue Chance auf Erneuerung ihres Ruhmes als gefeierte Schauspielkünstlerin.

Bis zu dieser Erkenntnis ist eine Menge passiert auf der Bühne des Ernst- Deutsch-Theaters. Alexandra und ihr Lover sind geflüchtet in die Heimatstadt von Chance. Hier hat er ein "Mädchen", das er nun - mit der reichen Frau im Schlepptau - als eine endlich Erfolg versprechende Partie in den Hafen der Ehe führen will. Doch seine Freundin Heavenly (Anja Schiffel) ist inzwischen eine gebrochene Frau: Durch eine Geschlechtskrankheit und eine nachfolgende Operation ist sie unfruchtbar geworden. In der Südstaatenenge hat sie sich damit zu einer kaum zu vertuschenden Schande für ihren reichen, mächtigen Vater (Frank Jordan) entwickelt, die schnell unter die richtige Haube gebracht werden muss. Der flippige Chance ist dafür mit Sicherheit nicht der richtige Kandidat.

Die Bühne zeigt eine türkisblaue und mit Palmen bestückte Idylle. Fast könnte man den Stoff von Tennessee Williams für ein Boulevard-Stück halten. Regisseurin Adelheid Müther lässt Doppelbödigkeiten darstellen, aber mit keinem Subtext durch die Inszenierung versehen. Der offene Rassismus, den die Südstaaten-Gesellschaft hier zelebriert, wird unkommentiert durch Ausstattung oder Spiel dargestellt. So klappt die Tarnung der Menschen in St. Cloud fast perfekt; ihre Brüche zwischen schöner idyllischer Oberfläche und krankem Inneren könnten fast übersehen werden. Lediglich Judy Winter als Alexandra und auch Anja Schiffel als Heavenly machen neben der cleanen Oberfläche auch die Gebrochenheit ihrer Figuren nachfühlbar.

Judy Winter bewies wieder einmal, dass sie nicht nur eine exzellente Schauspielerin ist, die dieser Rolle einer reifen Künstlerin mehr als gerecht wird, sondern eine uneitle dazu. Sie hatte den Mut, ihre Reife auch optisch auf der Bühne zu offenbaren. Das Publikum im Ernst-Deutsch-Theater zollte ihr verdienter Maßen den meisten Beifall.

Birgit Schmalmack vom 25.10.07