Bewusste Reise ins Unterbewusste

In der Zigarettenpause am Stehtisch in der Kantine mal eben über die Notwendigkeit des Realismus oder der Maßlosigkeit reden - so beginnt "transgressins/excès", für das Malte Ubenauf und Dirk Meinzer in ihrem Schauspielprojekt nach Georges Bataille Räume erfunden haben. Der erste ist wie gesagt, der Pausenraum mit vielen Wasserspendern, die von dem stehenden Publikum gerne genutzt wurden. In den zweiten wird es nach der kurzen Einstimmung geführt und darf jetzt, sitzend, der Entwicklung der komplizierten Beziehung eines ménage à trois zwischen einem maßlos liebenden Er (Marko Gebbert), einer kapriziösen, extragvaganten Sie (Szuana Rozkosny)und einem Geistlichen (Peter Niklaus Steiner) zusehen. Dieser treibt das intellektuelle Philosophieren immer wieder in ungeahnte Höhen, während die beiden anderen sich gerne an die praktischen Ausübungen ihrer Überlegungen machen wollen. Dazu kommt noch der geheimnisvolle Vater (Joachim Kappl) von Ihr, der auf seinem Schloss haust und seine Fänge immer wieder machtvoll nach seiner geliebten Tochter auszustrecken vermag. Und sie begibt sich in diese, aus demselben Grund, aus dem sie sich gerne mit den beiden anderen abgibt: Das Spiel mit Macht, Ohnmacht, Abgrund, Aufregung und Todesgefahr zieht sie magisch an. Das ist auch ihre Gemeinsamkeit mit ihrem Liebhaber, den sie geschickt an der kurzen Leine der Zuwendung, Ablehnung, Anziehung und Abstoßung hält. Auch er sucht das stetige Abenteuer, um die Grenzen des Lebens auszuloten.

Als Schreckgespenst hängt ein Bild eines Fertighauses auf der grünen Wiese über ihnen. Dass sie diese Alltäglichkeit nie erleben zu müssen, darauf richten sich alle ihre Bemühungen. Sie manövrieren sich immer wieder in Ausnahmesituationen hinein, um Ausnahmegefühle zu bekommen. Sie verführt den Geistlichen wegen des aufregenden Grades an Obszönität, den sie sich damit beweisen kann. Sie geht ins Schloss zurück und zieht ihre zwei Kumpanen an ihrer Leine hinter sich her in das geheimnisumwobene Haus: Der ideale Platz, um sich den geheimen Ängsten des Inneren zu stellen. Die Zuschauer folgen in den dritten Raum mit der Spiegelwand auf der Rückseite. War der zweite mit einzelnen, futuristischen Sofas und Sesseln noch der schmal geschnittene Salon der aufrechten Gespräche, ist der dritte ein Traumzimmer mit aufwändig gestylten Liegen im Schummerlicht nebst sirrender und grummelnder Klangkulisse. Hier wird zunehmend das Unterbewusstsein ausgelotet. Schlafend und träumend gehen sie ihren Albträumen, Sehnsüchten, Ängsten und Wahnvorstellungen nach. Das Akkordeon (Natascha Böttcher) und Saxophon (Tadeusz Jakubowski) tragen nur noch wenig mit Melodien zur gesellschaftsfähigen Stimmung bei. Im Salon gaben sie noch wohlgetimte Musikeinlagen, die zu dem akademischen Geplaudere passten.

In den letzten Raum der Erkenntnis dürfen nur noch diejenigen betreten, die schon die nächste Stufe erklommen haben. Er muss zurückbleiben. Die anderen treten in ein Spiegelkabinett vor, dass ihr vermeintliches Verständnis der Welt entgültig auf den Kopf stellt. Bis in die Unendlichkeit gespiegelt ergeben sich immer neue Bilder der Wirklichkeit. Hier trifft der sichtbare Realismus auf die Maßlosigkeit der immer weiteren Vervielfältigung aus anderen Perspektiven und knüpft so an das Pausengespräch zu Beginn an.

Eine sehr vernunftgesteuerte Erkundung der menschlichen Seele bis zur Überschreitung ihrer Grenze zum Wahnsinn versucht Malte Ubenauf hier mit seiner engagierten Projektgruppe zu betreiben. Sehr logisch strukturiert stößt er dabei immer weiter in die Tiefen des Innenlebens vor, wo alle weitere Logik sich aber selbst in Frage stellen und somit ad absurdum führen muss. Einigen Zuschauern war diese Reise ins Bewusste und Unbewusste zu anstrengend. Die wortreichen, wohlformulierten philosophischen Ergüsse im zweiten Raum forderten ganze Aufmerksamkeit, wollten die weiteren Schritte nachvollzogen werden. Wer sich darauf einlassen konnte, erlebte den Versuch einer äußerst durchdachten, streng logisch aufgebauten, sehr verstandesbezogenen Erkundung einer Region, in der sich dann jede weitere intellektuelle Analyse überflüssig macht. Die Überschreitung der Vernunft und Aufsplitterung des Verstandes wurde aber nur im Rahmen der logischen Beschäftigung mit dem Un-Verstandesmäßigen gesucht und damit blieb der Raum des Unbewussten für die Akteure und Zuschauer wohl auch weiterhin verschlossen.

Birgit Schmalmack vom 13.03.03