Vergnügliche Lehrstunde

Mittelalter steht auf dem Lehrplan. Selten konnte man ähnlich intensive pädagogische Bemühungen wie vom Lehrer Wolfram Eschenbach (Kai Möller) in braunem Cordjackett und Sandalen mit Wollsocken unter den Hochwasserhosen miterleben. Der engagierte Pädagoge bietet all seine Energie, seine Fantasie, den Inhalt seines Aktenkoffers und die Technik des 21. Jahrhunderts (Overheadprojektor!) auf, um einen möglichst hautnahen Eindruck vom Mittelalter zu vermitteln. Dabei mischt er Spruchweisheiten des deutschen Kulturgutes mit Erläuterungen über die mittelalterlichen Kampftechniken und Essgewohnheiten, um immer wieder befriedigt festzustellen: "So!", wenn er die richtige Schublade für die betreffende Erkenntnis gefunden hat. Doch irgendwann gehen selbst diesem übereifrigen Bildungsmeister die Möglichkeiten aus und er muss die hinter der weißen Leinwand befindlichen Schauspieler zur Hilfe rufen. "Parsival" soll mit seiner Lebensgeschichte das heute ja kaum noch vorstellbare Mittelalter illustrieren.

Das gelingt der grandiosen Jana Schulz in der Verkörperung des jungen, ungestümen und unbedarften Parsival hervorragend. Sie zeigt einen jungen Mann, der auf der Suche ist. Sein Gral, den er finden will, heißt Anerkennung, Bewunderung, Glück und Frauen. Als Ritter, so stellt er sich vor, mit einem Schwert und einer großen Portion Unerschrockenheit bewaffnet, könnte er zu einem Superstar werden und alles Erwünschte erreichen. So überbrückt Regisseur Andreas Bode mit Leichtigkeit den Sprung über die Jahrhunderte und aktualisiert die mittelalterliche Geschichte ganz unverkrampft.

Hinter der Leinwand zeigt sich ein erdiges Spielfeld mit seitlichen Hügeln (Bühne: Nanette Zimmermann), auf dem die Kämpfe mit den anderen Konkurrenten um den Titel des Superhelden stattfinden können. Nachdem sich Parsival von seiner überbehütenden Mutter Herzeloyde (Charlotte Pfeifer) losgerissen hat, bezwingt er dort in seinem jugendlichen Überschwang den als unbesiegbar geltenden roten Ritter. Mit diesem Ruf wird er in der berühmten Artus-Runde freudig aufgenommen und gerne für ihre Zwecke genutzt. Solange bis Bode ihn im Gegensatz zu Eschenbach seine eigenen Lehren aus seiner Glücksuche ziehen lässt: Er zieht die Liebe zu Condwiramus (Stefanie Schadeweg) dem kriegerischen Heldentum vor. Sein bemühter Lehrmeister muss abdanken und verlässt mit einem verzweifelten So!-So!-Stakkato die Bühne. Seine Lehren haben ausgedient. Parsival hat sich auch von seinem Autor emanzipiert.

Die fantasievollen Kostüme (Gwendolyn Jenkins) zeigen mit ironischer Kombination von Versatzstücken aus groben Naturstoffen, Metallnetzen, Rohwolle und Filz nie gesehene Kleider und weiche Varianten von Rüstungen. Bode zitiert die Tradition des Minnesangs mit eigenen Vertonungen von Gedichten, die den Verlauf der Geschichte unterhaltsam kommentieren.

Der Lehrer Wolfram bedauerte im Laufe der abendlichen Lehrstunde immer wieder, dass man sich das Mittelalter heute überhaupt nicht mehr vorstellen könne. Dank Bodes effektvoller Darstellungsideen wird die Vorstellungskraft der Zuschauer geschickt beflügelt. Er hat in seiner beachtenswerten Aktualisierung eine alte, als angestaubt geltende Geschichte gekonnt in die Gegenwart herübergeholt. Sein Einfallsreichtum und künstlerisches Feingefühl schafft ohne großen Aufwand Bilder und Situationen von großer Intensität.

Birgit Schmalmack vom 8.11.03

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