Bakchen


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Auch in einem Großraumbüro gibt es Gefühle

Heute würde der altgriechische Herrscher Pentheus vielleicht Vorstandschef eines großen Unternehmens sein. Er würde seine Angestellten aus weiter Ferne in wohldosierter, ähnlicher Abhängigkeit wie im Königreich Theben halten können. Seine heutigen Untergebenen säßen dann in einem Großraumbüro und gingen seinen Geschäften nach. Der verführerische Gott Dionysos hätte es wohl leicht sie mit ein paar netten Werbegeschenken dazu zu bewegen, ihren grau-weißen, streng regulierten Büroalltag zu vergessen. Schnell wären die schlichten Möbel umgestoßen, die Aktenordner auf den Boden geworfen - und das Ensemble der Schauspielschule Hamburg mitten drin im Spiel "Bakchen" von Euripides.

In ekstatischer Verzückung lässt der Gott des Weines die wohl gestylte Bürodamen und -herren alle unterdrückte Sinnlichkeit hemmungslos ausleben. Doch das Erwachen bleibt am Schluss auch den Bakchen von heute nicht erspart: In der Verwirrung ihres Verstandes, der sich ganz der Auslebung ihrer Gefühle unterordnete, müssen Pentheus Mutter und seine Schwestern erkennen, dass sie ihren eigenen Sohn und Bruder ermordet haben, als er ihrem Tun misstrauisch nachspionierte. Aufgestaute Gefühle konnten auch schon 400 Jahre vor Christus schädliche Nebenwirkungen haben.

Geschickt gibt die Regisseurin Barbara Neureiter in den abwechselungsreichen Chorszenen und stetig wechselnden Hauptrollen allen Akteuren die Gelegenheit ihre Talente zu zeigen. Und diese Abschlussklasse hat ihre Lektionen wohl gelernt: Wohl artikuliert und akzentuiert ist selbst in den chorisch gesprochenen Szenen jedes Wort der alten Verse zu verstehen und in den Einzelspielszenen schwingt auch schon in den kurzen Sequenzen viel Gefühl mit.

Das Ensemble verführte seine zahlreichen Zuschauer, die den Weg in die Oelkersallee 33 fanden, mit großem Engagement, viel Spielfreude, jeder Menge Talent, Liebe zur Sprache und interessantem Bewegungstheater. Das spannende Konzept der Aufführung erleichterte den Zugang zu dem sprachlich höchst anspruchsvollen Text. Das Publikum plädierte mit seinem Beifall für ein "Sehr gut".

Birgit Schmalmack vom 19.04.04