Das Narrenspiel

Narren erklärten und kommentierten einst am Hofe mit Scherzen den Lauf der Welt. Diese Art Wahrheiten zu verbreiten, macht sich Stefan Moskov in seiner Fantasieerzählung "Klein Zaches - genannt Zinnober" nach Motiven von E.T.A. Hofmann auf der Bühne des Thalia Theaters wieder zunutze. Weißgekleidete Narren mit roten Clownsnasen lässt er vor der Märchentheaterkulisse von Tchavdar Guzelevs ihre naiven, aber aussagekräftigen Späße treiben, um seine gesellschaftskritische Botschaft dem lachenden Hamburger Publikum unterzujubeln.

Der weise Student und Komiker Balthasar (Peter Jordan) ist ein lebensfroher Mensch, weil er über Fantasie und Poesie verfügt. Mit seinen rotnasigen Clownsgenossen genießt er sein Leben und weiß sich und das Publikum mit seinen (respektive Moskov') immer neuen Ideen zu erfreuen. Solange bis ein Intellektueller (Josef Heynert) es nicht länger ertragen kann, dass es Phänomene gibt, die mit der Vernunft nicht zu erklären sind und sich damit seiner Macht entziehen. Er zieht einen Clown (Stephan Schad) auf seine Seite, indem er ihn mit dem Amt des Königs lockt. Um auch die anderen Clowns unter ihren Einfluss zu ziehen, sind einige Aktionen nötig: So werden kurzerhand die Industrialisierung, die entmenschlichte Arbeit und das Geld erfunden. Die Menschen verlieren folgerichtig ihre Clownsnasen und tauschen sie gegen graue Masken um. Ihre Träume werden so klein gemacht, dass sie in Plastiktüten passen. Soweit eine stimmige, amüsante, wenn auch nicht ganz neue Parabel auf die modernen Zeiten, die schon Charlie Chaplin in seinem Film anprangerte.

Jetzt taucht zur weiteren Bereicherung der ohnehin schon vielfältigen Personage das "Resultat der letzten Gesundheitsreform", der hässliche, boshafte und verachtete Gnom, Klein Zaches (Judith Rosmair) auf. Damit hat endlich die eigentliche Hauptperson des Stückes ihren Auftritt. Da die vom König zuvor entmachtete Wunder-Fee den Menschen einen letzten Denkzettel geben möchte, stattet sie den Zwerg mit einem Papier aus, das ihm unverdientes Ansehen verschafft. Ab sofort wird er wie ein Superstar verehrt und heimst die Achtung, die Zuneigung und die Liebe der anderen ein. Unreflektiert wird er angehimmelt und setzt die Maßstäbe für die neuesten ,angesagtesten Trends. Ein zusätzlicher Hieb, der gleichzeitig die oberflächlichen Marketing-Strategien der Medien und die Formularversessenheit der Bürokratie treffen soll. Jeder Mensch ist eben nur noch ein Vorgang, den man abheften und platzsparend in die Schublade stecken kann.

Moskov schafft es auf wundersame Weise all diese verschiedenen Handlungsstränge in einem märchenhaften Happyend aufzulösen. Bei ihm siegt letztendlich die Fantasie und Lebensfreude gleich über alles Negative in Form der Industrialisierung, der Bürokratie und der Beherrschung durch Machtstrategen: Die roten Nasen werden in der Fantasie zu riesengroßen Luftballons, die in den Theater-Himmel aufsteigen und den kleinen, mickrigen Zinnober resignieren und sein kostbares Papier zerreißen lassen.

Birgit Schmalmack vom 3.1.04