Ode an die Freude


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Im Klischee liegt die Wahrheit

Bjarne (Bjarne Mädel) ist ein ganz durchschnittlicher Erdenbürger mit einem normalen Alltagsleben - solange bis er eines Tages ein Zuckertütchen neben seinem Kaffee findet, auf dem steht: Alle Menschen werden Brüder. Er erkennt sogleich den weltverändernden Anspruch dieses Satzes und fühlt sich ihm ab sofort verpflichtet. Komischerweise wehren sich der in Pinneberg geborene Schwarze, der fundamentalistisch wirkende Araber und der chinesische Kellner gegen seine gutmenschlichen Hilfsangebote. Dermaßen desillusioniert, beschließt er doch lieber von allzu persönlichen Kontakten abzusehen und eine Spende auf das Konto irgendeiner Hilfsorganisation zu überweisen.

Solche kleinen Alltagsgeschichten sind die Spezialität von Ingrid Lausund. Zusammen mit den Schauspielern entwickelt sie ihre auf deren Leib geschriebenen Texte und verbindet sie zu einem unterhaltsamen Abend, der das Lachen sich nie weit vom Nachdenken entfernen lässt.

Dieses Mal sollte dabei eigentlich eine "Ode an die Freude" komponiert werden. Doch statt bei freudvollen, gemeinsamen Idealen landen die sechs Sänger (mit Regina Stötzel, Christian Kerepeszki) bei egoistischen Psycho-Spielchen. Dem Chor aus den allzu individualistisch geprägten Einzelwesen fällt das Abstimmen schwer; zu wichtig wird die eigene Selbstdarstellung auf der Bühne. Der Schillersche Idealismus hat im Laufe der Jahrhunderte Risse bekommen. Das Ausleben des Helferwillens wird schwierig, wenn die Illusionen über die grundsätzlichen Verbesserungsmöglichkeiten der Welt verloren gegangen sind. So ist die Hilfe keine Frage des Herzens sondern des Kopfes geworden, der doch lieber nach einer bequemeren Lösung sucht.

Ein Duett von Sarah Masuch und Anne Weber erzählt statt von Teamfähigkeit und Schwesterlichkeit von gutem Ellenbogentraining. Der Partybericht von Bernd Moss setzt zum Schluss das glänzende Highlight auf. Gekonnt karikiert er alle Teilnehmer der Gesellschaft und zaubert ein kleines Kabinettstückchen auf die schlicht-festliche Bühne (Beatrix von Pilgrim).

Lausund erzählt mit dieser Arbeit im Vergleich zu vorherigen Arbeiten am Schauspielhaus wie "Hysterikon", "Bandscheibenvorfall" und "Konfetti" ein ungewohnt sparsam bebildertes Gleichnis über unsere heutige Ego-Gesellschaft mit ihrer endlosen Ausdifferenzierung der möglichen Ziele. Wie in "Weg zum Glück" konzentriert sie sich auf das Wort und die Fantasie und lässt sich zusätzlich durch die akzentuierte Musik (Lieven Brunckhorst) unterstützen. Das Premierenpublikum honorierte die komödiantischen

Leistungen mit langem Beifall.

Birgit Schmalmack vom 24.1.05