Hamlet


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Welt vom 11.4.08
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Grübler am Abgrund

Zum Schluss sitzen sie wie am Anfang: Aufgereiht auf dem rohen Holzpodest vor dem leeren schwarzen Hintergrund. Einzig die blutverschmierten Gesichter verraten, dass inzwischen einiges vorgefallen ist. Hamlet sitzt zwischen ihnen, als wenn ihn diese Menschen alle nichts angehen. Diese Haltung verriet sein Blick auch schon zu Beginn. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits innerlich zerbrochen. Das geschah, als sein Onkel seinen Vater ermordete, um an den Thron und ins Bett seiner Mutter zu kommen. Zwei Monaten nach dem Tode des Vaters gab seine Mutter diesem Ansinnen schon statt. Seit sie sich ganz dem Ausleben der Leidenschaft mit Claudius widmet, steht Hamlet fassungslos vor dieser Frau, die seine Mutter sein soll und die er nicht mehr wieder erkennt.

Seine Liebe zu Ophelia hat unter diesen Umständen keine Chance. Sie ist eine Totgeburt schon in der Werbungsphase. Ophelia scheint das zu wissen. Ergeben ihrem Schicksal sieht sie wie Hamlet dem Unvermeidlichen entgegen. Einzig Claudius scheint zu glauben, dass man an seinem Leben etwas drehen könnte. Er versucht sämtliche Winkelzüge, die auch momentanen Eingebungen zu verdanken sein können, um seine eigenen Chancen zu verbessern. In Gertrud findet er eine kurzzeitige Bundesgenossin, die es sich im reiferen Alter noch einmal erlaubt Sinnesfreuden zu genießen. Polonius, Ophelias Vater, ist ein cholerischer Pedant und Strippenzieher. Er weiß um seinen Platz am Hofe und dienert dem jeweiligen König treu ergeben.

Thalheimer lässt die Einzeldarsteller glänzen. Er gibt Norman Hacker Raum und Zeit, um Polonius Marotten genüsslich vorführen zu lassen. Der geborene Wendehals windet sich mit seinem ganzen Körper ebenso wie mit den nur bruchstückhaft hervorgebrachten Sätzen. Genauso beredt ist das Körperspiel von Felix Knoop, der den Claudius mit heuchlerischem Egoismus und gleichzeitig mit spontanen Anflügen von Mitmenschlichkeit ausstattet. Paula Dombrowskis Ophelia scheint schon vor ihrem Gang ins Wasser nicht ganz von dieser Welt zu sein. Sie schwebt in ihrem Unterkleidchen mehr über die Bühne als sie geht. Victoria Trauttmansdorff ist eine lebenslustige, zupackende und pragmatische Gertrude, die ihr Recht auf etwas Spaß im Leben überzeugend einfordert. Hans Löw in der Titelrolle ist ein entrückter, gebrochener Mann, der scheinbar von einer höheren Warte dem Treiben seiner Mitmenschen zuschaut. Immer nahe am Abgrund, als warte er nur auf den richtigen Zeitpunkt zum Abtreten.

Eine Szene bleibt besonders im Gedächtnis: Als Polonius dem Königspaar von der Liebe Hamlets zu Ophelias berichten will, zögert er die eigentliche Botschaft seiner wort- und gestenreichen Erklärung so lange hinaus, dass Gertrud ihn mahnt: "Mehr Inhalt und weniger Kunst bitte!" Sollte Thalheimer, da er dieser Szene so viel Raum gibt, vielleicht als (selbst-) ironische Fußnote zu manchen Aufführungen auf deutschen Bühnen gemeint haben?

Birgit Schmalmack vom 5.5.08