Im Weißen Rössl


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Ab ins Bett!

Wie ein aufgezogenes Trachtenpüppchen in kurzem Dirndl-Kleid mit geflochtenen Affenschaukeln steht die Wirtin Josepha (Anna Steffens) des "Weißen Rössls" am Bühnenrand und lässt ihren Rock durch gleichmäßige Drehbewegungen in der Taille sachte schwingen. Selten erlaubt sie ihrer Mimik wahre Gefühle durchbrechen zu lassen. Zu sehr ist die junge Witwe und damit alleinige Chefin des Hotelunternehmens um Professionalität bemüht. Leider zeigen dafür ihre Oberkellner umso mehr Gefühl. Alle Vorgänger des jetzigen Posteninhabers Leopold (Peter Jordan) musste sie entlassen, da sie allzu starke Verliebtseinssymptome in ihre Chefin zeigten. Doch Leopold kümmert diese Vorwarnung kaum. Er hat sein Herz an die hübsche Dirndlträgerin verloren und sich in den Kopf gesetzt ihres zu erobern. Doch sie will sich standesgemäßer verbandeln und wartet auf ihren jährlich eintreffenden Stammgast Rechtsanwalt Dr. Seidel (Norman Hacker). Doch der hat nur Augen für die süße, widerspenstige Berliner Göre Ottilie (Judith Rosmair). Als der Kaiser (Peter Maertens) überraschend seinen Besuch am Wolfgangsee ankündigt, dirigiert er nicht nur den Willkommensgruß seiner Untertanen, sondern sorgt auch für das erlösende Happy-End in den Liebesverwirrungen.

Erik Gideon hat seine Fassung des beliebten Musicalklassikers von Ralph Benatzky mit viel Sinn für Ironie und das Wesentliche auf die Bühne des Thalia Theaters gebracht. Alpenländische Dekorationen sucht man in seinem austauschbaren Hotelzimmer von der Ausstatter-Konfektionsstange vergebens. Dafür kommen die Darsteller umso behängter daher. Die Berliner Gäste machen Österreich ihre Aufwartung mit kurzen Krachledernen, Wadenwärmern, umgehängten, hölzernen Trinktrögen und Blumenschmuck auf dem Kopf. Dr. Seidel will als Rechtanwalt gerne den Ton angeben und trägt ständig eine um seinen Körper gewundene Tuba mit sich herum. Praktischer Weise kann er sie auch gleich zum Einfangen von Ottilie benutzen, nachdem er sie mit seinen Sangeskünsten so verführt hat, dass sie förmlich in das große Blechinstrument hineingekrochen ist. Doch die Krönung der aberwitzigen (Bekleidungs-)Kommentare setzt Sigismund Sülzheimer (Andreas Pietschmann). Sein Auftritt mit langen Strickstrumpfhosen, unförmigen Filzhut, erlegtem Wild und Gefolge aus Klärchen und ihrem Vater (Doreen Nixdorf, Hartmut Schories) vor der Pause schürt die Erwartungen. Mit dem überirdisch schönen Sigismund spielt Gideon seine Lust an einer bissigen Persiflage der katholischen Symbolik genüsslich aus. Mal hängt Sigi wie der Gekreuzigte an der nackten Hotelwand, mal wird ihm von Klärchen ein Heiligenschein bzw. Geweih mit den Händen um den Kopf drapiert und mal spendet er den entstehenden Paare mit Papstgeste seinen Segen. Er ist es auch, der mit seiner neuen Liebe Klärchen ein akrobatisches, hintergründiges Macht-Tänzchen auf das Hotelzimmerparkett legen darf.

Auf- und Abgänge finden bei Gideon, nachdem die Personen einmal zur Hotelzimmertür hereingekommen sind, über die zwei vielseitig verwendbaren Hotelbetten statt. Unter der Bettdecke warten die Darsteller ihren Einsatz ab, wobei die Tatsache, in welchem Bett sie gerade Unterschlupf gefunden haben, über ihre jetzigen oder künftigen Beziehungen Aufschluss erlaubt. Nur Leopold darf sich zum Schmollen ins angeschlossene Badezimmer verziehen und das Klo für die anderen blockieren. Die musikalische Begleitung wird von dem hervorragenden Clemens Sienknecht allein mit dem Klavier bestritten und lässt das Orchester keinen Moment vermissen. So kommen die hintersinnigen Texte der Operette noch besser zur Geltung. Peter Jordan ist eine exzellente Besetzung für den Leopold. Verschmitzt, leicht schüchtern und doch starrsinnig ertrotzt er sich durch seine charmante Hartnäckigkeit die Liebe seiner Angebeteten. Während dieser schwierigen Bearbeitungszeit stürzt er immer wieder von Josephas Zurückweisungen getroffen zu Boden und kann sich nur mühsam hochrappeln, wenn die Gäste nach ihm verlangen.

Gideon bedient mit seiner Inszenierung nicht die Zuschauer, die Glanz und Opulenz erwarten. Wohl aber diejenigen, die sich an seinen fast versteckten, hintergründigen Anmerkungen zu den Banalitäten des Lebens und ihrer Vertonung in wohlvertrauten Operettenhits erfreuen können.

Birgit Schmalmack vom 2.5.03