Ein bisschen Spaß muss sein

Vier Kantinentische und ein paar passende Stühle bilden die schlichte Kulisse für die starke Inszenierung "Die Verbrecher" im Forum der Hochschule für Musik und Theater von Pjotr Olev. Mit scheinbar leichter Hand, die sich bekannterweise in der punktgenauen Umsetzung stets als schwer herausstellt, legt er eine Sichtweise auf das sozialkritische Stück von Ferdinand Bruckner vor, die ihren besonderen Charme aus der Spielfreude, dem Engagement und den musikalischen Fähigkeiten der beteiligten Schauspieler zieht. Mit ihren fast durchgängig großen darstellerischen Qualitäten wäre es ein Leichtes gewesen, das naturalistische Drama um ein paar Durchschnittsmenschen in einem Mietshaus, die ungewollt zu Verbrechern werden, Szene um Szene durchspielen zu lassen. Doch so einfach will es der Regisseur sich und den Zuschauern nicht machen. Gerade wenn das Spiel um die Sorgen der Mietshausbewohner wieder so recht in Schwung gekommen ist und gefangen nimmt, baut Olev genüsslich den nächsten Bruch ein. Entweder taucht dann der Autor Bruckner (Mark Letzig) höchstpersönlich auf und fühlt sich aufgerufen, dem Publikum sein Stück mit einigen Übertragungen auf die Jetztzeit zu erklären oder die Schauspieler steigen aus der Szene aus und kommentieren das Stück aus ihrer ganz persönlichen Sicht. So werden die zwei Handlungsstränge geschickt in die Jetztzeit herübergezogen und können doch ganz in ihren Zeitumständen gespielt werden.

Da ist einmal die Geschichte der beleibten und resoluten Ernestine Puschek (Nadine Nollau), die sich eigentlich glücklich schätzen darf den Frauenheld Gustav Tunichtgut (wahres Showtalent: Renato Schuch) erobert zu haben, aber stattdessen von Eifersuchtsattacken geplagt wird. Nicht unberechtigt, denn selbst im Haus verfeinert der gutaussehende Gustav seine Eroberungstaktiken mit Hilfe der Wirtin Kudelka (Birte Wentzek) und ihrer Kellnerin (Lucia Peraza Rios). Dabei hatte die zupackende Ernestine alles gerade so schön eingefädelt: Konnte sie, die leider ohne eigenen Nachwuchs blieb, doch die schwangere aber völlig mittellose Akademikerfrau Olga zur Überlassung des Babys statt einer Abtreibung überreden. Außerdem werden die Nöte des Homosexuellen Frank (Sven Mattke) geschildert, der aufgrund seines "unzüchtigen" Verkehrs angeklagt und verurteilt werden soll und nun kurz vor dem Selbstmord steht.

Als der Autor mit einem "Das war's" das Ende seiner Story verkündet und gerade anheben will, die nun folgende Diskussion mit dem Publikum über unsere heutige Sicht auf die Bewertung von Verbrechen und Verbrechern zu beginnen, reicht es der munteren Truppe. Sie kommt kurzer Hand mit ihren Instrumenten auf die Bühne und improvisiert in grooviger Acapella-Manier über ihr Leitmotiv "Ich küsse ihre Hand, Madame". Nur nicht zuviel kritischer Tiefgang, schließlich soll der Spaß nicht zu kurz kommen. Sind wir doch im einundzwanzigsten Jahrhundert und brauchen uns zum Glück mit den Problemen des neunzehnten nicht mehr herum zu schlagen. Gekonnt hält Olev den Ball flach und erreicht damit, dass gerade durch das Nicht-Auswalzen des Angesprochenen die Lust am Nachdenken wach gehalten wird. Anregungen dafür hielt seine interessante Regiearbeit allemal genügend bereit.

Birgit Schmalmack vom 8.4.04