Eckensteher der dynamischen Art

Colker liebt die Herausforderung. Das ist spätestens seit ihren spektakulären Inszenierungen auf dem riesigen Metallrad "Rota" und in dem zweigeschossigen Holzhaus "Casa", bei denen die Tänzer ihre akrobatischen Fähigkeiten und ihren Wagemut beweisen mussten, klar. Beide konnten ebenfalls auf Kampnagel bestaunt werden, genau so wie die jetzige Europa-Premiere "4 por 4" .

Für ihre vier neuen Meisterteilstücke hat sie sich an den Kunstwerken von vier brasilianischen Künstlern orientiert. Faszinierende Eindrücke erzeugt das Eingangsstück "Ecken", das sich die "Cantos" des bildenden Künstlers Cildo Meireles zum Vorbild nimmt. Statt seiner zwei sind sie auf sechs der circa drei Meter hohe Ecken aus einem Fußboden und zwei Seitenwänden aufgestockt worden. Zu schwungvoller, rhythmischer Musik zeigen die wunderschönen, gebräunten, zartgliederigen Tänzerinnen in Stöckelschuhen und die muskulösen Männer welch hocherotischen, vor Spannung knisternden Begegnungen in den schlichten Ecken möglich sind. Auch die halsbrecherische Akrobatik kommt nicht zu kurz. Da springt der behände Tänzer über den Rücken der sich bückenden Frau nach oben auf den Rand der Ecke, um gleich darauf wieder mit gespreizten Beinen herunter zu springen und millimetergenau über der Frau zu landen. Mit Leichtigkeit wird nur mit den Händen und bloßen Füßen abgestützt die Ecke erklommen oder von einem Arm des oben über die Ecke schauenden Partners gehalten die Waagerechte ausprobiert.

Der zweite Teil hält auf dem Tisch von Chelpa Ferro gekonnt die Balance. Während der Metalltisch sich langsam nach rechts über die Bühne bewegt, läuft nämlich ein in seine Tischplatte integriertes Laufband in die entgegengesetzte Richtung. Das könnte die auf ihm befindlichen Tänzer schon aus dem Gleichgewicht bringen. Doch Deborah Colker, die selbst den weiblichen Part tanzt, beweist mit ihrem muskelbepackten männlichen Gegenüber sicheres, ruhiges Standvermögen gepaart mit Grazie und vollendeter Körperbeherrschung.

Im dritten Teil tobt das bunte, jugendliche Leben. Der Fußboden und die Rückwand sind von Victor Arrunda mit grellen comicartigen Darstellungen von Menschen und ihren Geschlechtsteilen übersät. Auf ihnen entfaltet eine ebenso bunte, heftig pubertierende Truppe ihre spaßige Erprobung der Beziehung zwischen den Geschlechtern. In wippenden Miniröcken, knackigen Jeans und Turnschuhen begeben sie sich neugierig auf das Experimentierfeld und versprühen viel Lust auf das Leben, das Ausprobieren und den Spaß am Körper des Gegenüber.

In der engen Begrenzung des Bewegungsraums sucht Deborah Colker mit ihrer Compagnie auch im letzten Teil von "4 por 4" neue Wege und Erkenntnisse. Wie eine Metapher auf das Leben, das sich die Erfüllung von Konventionen zum Ziel gesetzt hat, kann man sich das letzte Stück des Vierteilers "Vasos" anschauen. Zwischen fast hundert großen Porzellanvasen, die nach der Idee des Künstlers Gringo Cardia in einem diagonalen Karomuster auf der Bühne verteilt sind, müssen sich die Tänzer bewegen. Fettnäpfchen, in die sie treten können bzw. Vasen, die sie zerbrechen können, begrenzen so ihren Entfaltungsraum. Doch sie beweisen, dass auch in dieser engen Limitation große Sprünge möglich sind.

Das Hamburger Publikum feierte die effektvolle Show mit langanhaltendem Applaus. Colker versteht es geschickt die unterhaltsame und die künstlerische Seite des Tanztheaters auszubalancieren und den Geschmack der Zuschauer zu treffen.