Macbeth


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Über Leichen gehen

Shakespeares Stücke sind immer noch eine Fundgrube für Theatermacher und -besucher. Eine Wundertüte, aus der immer wieder andere Aspekte der großen, allzumenschlichen Gefühle und Triebe gezogen werden können. Auch Andreas Kriegenburg hat für seine Inszenierung von "Macbeth" im Thalia Theater wieder eine Menge von äußerst modernen, menschlichen Fehlleitungen im über 500 Jahren alten Stück entdeckt. Er versetzt dafür ganz zeitgemäß die Schlachten in ein Großraumbüro, wo mit Aktienkauf und -verkauf über Tod und Leben von Unternehmen und damit über Wohl und Wehe von vielen Arbeitnehmern entschieden wird. Hier werden die Kriege von heute geführt. Sein Macbeth ist ein kleiner, völlig unauffälliger Emporkömmling im schlecht sitzendem Anzug mit Kassengestell vor den computergeschädigten Augen. An Shakespeare gemahnt nur noch wenig. Zwischen dem belanglosen Bürogeplaudere dürfen von Zeit zu Zeit drei Chefsekretärinnen als weißsagende Hexen neben viel amerikanischen Floskeln auch im englischen Original schwelgen.

Johanna Pfau schuf ein eindrucksvolles Bühnenbild und äußerst subtil entlarvende Kostüme. Alle Arbeitnehmer sitzen in einer holzverschalten, riesigen Halle in kleinen Glaskästen. Vereinzelt hocken sie vor ihrem Bildschirm und können nur noch über das Telefon miteinander kommunizieren. Allein der allgegenwärtige Chef Duncan darf seine Runden zwischen den einsehbaren Kästen ziehen und persönlich Lob und Tadel verteilen. Ersteres hat er stets für den fleißigen Macbeth übrig. Seinem mickrigen, verschüchterten Sohn Malcolm stellt er diesen strebsamen Pedanten als leuchtendes Vorbild hin. Und Duncan soll mit dieser Einschätzung der bisher verkannten Fähigkeiten seines Untergebenen recht behalten. Als die feindliche Übernahme droht, rettet Macbeth mit ein paar gezielten - oder wohl eher völlig zufälligen - Klicks auf der Tastatur die Firma. Nach der anschließend großzügig ausgerufenen und mit Amüsierpaket ausgestatteten Feier übernimmt Shakespeare posthum wieder die Geschicke des Bühnengeschehens in die Hand. Es geschieht die erste Tat, bei der auch tatsächlich Blut fließt: Von seiner Frau angespornt - einer kleinen, grauen Büromaus, die ihre Stunde gekommen sieht - beseitigt Macbeth den Chef. Ohne Computer und mit anschließend sichtbaren, roten Flecken auf der zuvor noch weißen Weste

Nach der Pause ist man in der Chefetage angekommen, jetzt mit wenig Möbel und dafür mit umso mehr Echo versehen. Der schüchterne, verklemmte Macbeth soll in Schuhe schlüpfen, die ihm augenscheinlich ein paar Nummern zu groß sind. Nicht so für seinen Kollegen Banquo. Mit einer grandiosen Arie lässt Kriegenburg den wenig potenten, schottischen Grünschnabel an die Wand singen und Banquos Qualitäten klar stellen. Doch diese Versinnbildlichung bleibt nun für lange Strecken die einzige, die sich feinsinnigeren Mitteln bedient. Das Gemetzele darf seinen Lauf nehmen und die Schauspieler immer mehr von Shakespeare verlautbaren. Um sich von Shakespeare jedoch nicht alle Taten diktieren zu lassen, setzt der Regisseur als persönliche Note gleich noch weitere hinzu. Denn man schreitet jetzt zur Tat, die mittelalterlicher nicht sein könnte, obwohl sie sich Motive bei heutigen Splattermovies ausleiht. Blutverschmiert zeigen die Saubermänner von einst jetzt, was für Manneskräfte in ihnen stecken. Um ihrem neuen Chef zu dienen und ihre Pfründe zu wahren, ist auch den biedersten Schreibtischtätern jedes Mittel recht.

Kriegenburgs Übertragungsidee auf die Jetztzeit ist verlockend. Solange er den Text Shakespeares fast völlig beiseite lässt, scheint sie zu funktionieren. Allerhöchstens droht sie in allerlei Belanglosigkeiten unterzugehen. Dieses Risikos ist er sich anscheinend bewusst und so besinnt er sich im zweiten Teil auf den Text und zwängt seine Anfangsidee in das Dichterkonzept. Und das wird leider ähnlich eng wie die Feier zu Macbeths Ehren in einem der kleinen Glaskäfige. Der Text sprengt die Wirtschaftswelt und landet dank der Übertragung auf die Moderne folgerichtig in der Bedienung der Massen mit allerlei blutspritzender Action.

Macbeth, die mit Jörg Pose spannend besetzt ist, darf vom mickrigen Schreibtischsitzer über einen willfährigen Emporkömmling, der seiner machtgierigen Gattin gehorcht, zum blutrünstigen Machtmenschen mutieren. Jörg Pose tut sein Möglichstes, um der Figur Überzeugungskraft zu geben, doch der Spagat zwischen aufgesetzt wirkenden Dichtertext und locker-flockigen Biedermannsprüchen macht selbst einem so in allen Tonlagen versierten Schauspieler zu schaffen. Peter Kurth als Banquo kann schon eher in seine Rolle als zunächst hilfreicher Mitstreiter und schließlicher Konkurrent ausfüllen. Ihm wurden weniger Shakespearesche Erklärungsreden zugemutet. Auch Hans Löw als unbedeutender Chefsohn darf eher über seine ausdrucksstarke Körpersprache reden als mit gedrechseltem Text, der sich nur widerstrebend auf Büroniveau herunterschrauben lassen will. Natali Seelig gibt die machtbewusste Ehefrau, die gern die Königsgattin spielen möchte und dafür über Leichen geht. Als auch ihr klar wird, in welche Gewaltspirale sie sich damit begeben hat, ist es für Einsichten zu spät: Ihr hochgepuschter Ehemann wendet die Gewalt gegen sie und ersticht sie. "Einmal ist" eben doch nicht "keinmal", wie die beiden Erfolgsgehilfen (herrlich skurril: Thomas Schmauser und Helmut Mooshammer) sich vor der Beseitigung des Konkurrenten Banquo noch einreden wollten.

Blut will immer weiteres Blut. Das demonstriert Kriegenburg in seiner Umsetzung "nach" Shakespeare. Außerdem deutet er an, dass die rein gewinnmaximierenden Handlungen der Wirtschaft nur die Vorderseite der Machtmedaille sind; deren Haltung befähigt auf der Rückseite zu brutalen Morden. Bebildern wollte er die Redewendung "Über Leichen gehen", und zwar in beiden Dimensionen. Leider wählte er dafür einen zu großen Text, der sich dagegen sperrte, als Bild- und Textmaterialquelle benutzt zu werden, sondern auf seiner Eigengültigkeit beharrte.

Birgit Schmalmack vom 13.03.03