Kasimir und Karoline


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Menschen, die Produkte ihrer Umgebung

Ein Streifenvorhang aus geflickten Zeltplanen, dekoriert mit Lichterketten, und zwei Rutschen und eine dicke Schaustoffmatte (Bühne: Nathalie Plato) sorgen für schnelle Auftritte und unauffällige Abgänge auf dem Jahrmarkt des Oktoberfestes und des Leben im Thalia in der Gaußstraße. Die mausgraue, bebrillte Büroangestellte Karoline (Elisabeth Müller) hat ihren Verlobten Kasimir (Dominik Maringer) überredet auf den Vergnügungsmarkt mitzukommen. Doch dieser ist kaum in Feierlaune; gerade hat er seine Entlassungspapiere erhalten und gehört nun zu dem Heer der Arbeitslosen in der Wirtschaftskrise der Dreißiger Jahre.

Karoline aber will sich amüsieren. Alternativen zum freudlosen Freund bieten sich dem aufgeschlossenen Mädchen mit dem wippenden Pferdeschwanz schnell. Zunächst überredet sie den schüchternen, kleinen Angestellten Schürzinger (Markus Reymann)zu ein paar Fahrten Achterbahn. Doch dann sieht die karrierebewusste Karoline ihre Chance gekommen, als ihr Schürzingers Chef Direktor Rauch (Georg Jungermann) vorgestellt wird. Sie übersieht, dass dieser nur das ganz schnelle Vergnügen einer aufwandlosen Befriedigung sucht.

Am Schluss hat sich Kasimir eine neue weibliche Begleitung namens Erna (Katharina Haindl) zugelegt. Karoline hat ihre Jungfernschaft brutal verloren und wird geschunden und kleinlaut von Schürzinger in Empfang genommen. Er ist ihr schließlich zu Dank verpflichtet; er hat sich die Überlassung Karolines eine Beförderung durch Rauch kosten lassen.

Ödön von Harvaths zeigt in seinem Stück anhand der beiden einfachen Leute "Kasimir und Karoline", dass das Wirtschaftssystem die Leute formt und egoistischer macht. Die Menschen sind Produkte ihrer Umgebung und neigen dazu, zu ihrem eigenen Vorteil Abstriche von der vorher hochgehaltenen Moral zu machen.

Nun spielt dieses Stück aber auf einem Rummelplatz mit den dazugehörigen zur Schau gestellten Absurditäten. Regisseurin Jorinde Dröse nutzt dieses Arsenal an merkwürdigen Gestalten, um der traurigen Geschichte um Karoline, Kasimir, Erna und Schürzinger ein paar amüsante, bunte Tupfer zu geben. Das Nach-Premieren-Publikum konnte sich daran herzhaft erfreuen und war dankbar für diese offensichtlich komischen Momente in all der hoffnungslosen Düsternis. Doch erst die beeindruckenden Leistungen der Hauptdarsteller, die die leisen Tönen in all dem oberflächlichen Trubel wunderbar beherrschen, machten das nachdenkliche Stück gehaltvoll und sehenswert. Dabei zeigt das menschliche Äffchen Juanita (Jana Schulz), dass es auch möglich gewesen wäre beides miteinander zu verbinden: Sie gibt ihrer ungewöhnlichen Gestalt bewundernswerten Tiefgang und verzerrt sie nicht zu einer Karikatur.

Birgit Schmalmack vom 22.4.03

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