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Potentielle Helden

Jeder kann etwas Großartiges leisten, wenn er sein Bestes gibt, meint der Genosse General Leutnant Oberflugleiter (Lajos Talamonti). Der Astronaut Victor (Thomas Butteweg) auf seiner Mission als erster Mensch zum Mars erfüllt seine staatsbürgerlichen Pflichten voll und ganz: Er opfert sein Bestes um als Held den Ruhm des russischen Volkes zu vermehren. Erst im Laufe seiner Expedition wird ihm klar, dass seine Rückkehr nie vorgesehen war. Helden machen sich umso wirkungsvoller, wenn sie als schöne Sternschnuppe am Abendhimmel verglühen und so für die Wünsche träumender Jungen dienlich sein können. Private Bedürfnisse haben dabei nur insofern Bedeutung, als dass sie für das Volk zur Romantisierung des Helden beitragen sollen. So werden die Telefonate des Ehepaares, das sich über 200 Millionen Kilometer voneinander entfernt befindet, öffentlich ausgestrahlt.

Andreas Kebelmann geht für seine Diplominszenierung auf Kampnagel der Entstehung eines Heldenmythos am Beispiel der sowjetischen Raumfahrt mit hohem technischen Aufwand und wirkungsvoller Bühnengestaltung nach. Der treppenförmige abgestufte Zuschauerraum bietet auf jeder Sitzetage zwei Bildschirme, auf denen die Telefongespräche des Ehepaares Krisemarov zu verfolgen sind. Auf der untersten Treppenstufe ist die telefonierende Ehefrau Mira (Katerina Poladjan) live zu sehen und auf dem Hallenboden ist abgeschottet hinter Jalousien die Kommandozentrale des Flugleitzentrums mit den technischen Geräten untergebracht. Auf seiner Höhe sitzt auch die Live-Kapelle "Internationaler Wettbewerb", die die leichte, musikalische Untermalung beisteuern kann, wenn das Zeichen dazu vom Genossen General erfolgt ist.

Nach dem Vorlesen der Glückwunschtelegramme an ihren Mann berichtet Mira bei ihrem Telefonat auf dem rechten Bildschirm: "Unser Hund ist gestorben." Erschrockener Blick auf dem linken. "Aber er ist schön gestorben...", versichert sie schnell.

Wenn sie sich einmal von der Öffentlichkeit unbelauscht glauben, fragen sie nach entscheidenderen Dingen: Er: "Liebst du mich noch?" Sie: "Weiß nicht..." Er: "Dann kann ich ja gehen."

Der Zuschauer spürt nicht nur durch die hölzernen Treppenkonstruktion die Vibrationen des Raumschiffes bei der Landung auf dem Mars sondern auch die sich stetig steigernde Ausweglosigkeit des einsamen Helden in seiner Raumkapsel. Die zunehmende Leere zwischen den Eheleuten, die Enttarnung des Planes zu seinem Heldentod, die Unerträglichkeit der erkannten Wehrlosigkeit - diese zunehmend beunruhigende Spannung überträgt sich auch auf den Zuschauer. In den zwei Stunden der Aufführung mit der Beschränkung auf wenige Handlungselemente, gleichbleibende Personenanordnung, der Monotonie der formelhaften Verlautbarungen hat er Zeit diesen Gefühlen nachzuspüren. Kebelmann lässt hautnah miterleben, wie es sich auf den Einzelnen auswirkt, wenn ein Regime Menschen im Namen der Ideologie verheizt. Und mit Staunen feststellen, dass man diesen Menschen noch einreden kann dies als Ehre zu empfinden.

Birgit Schmalmack vom 27.4.04