Zigeunerjunge


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Aus weißem Papier steigen Geschichten

Aus einem riesigen Bogen Papier, steigen gleich fünf Werther heraus. Drei Männer (Felix Kramer, Kai Schumann, Daniel Wahl) und zwei Frauen (Maja Schöne, Verena Fitz) sitzen auf den Treppenstufen, zu denen sie sich durch einen kräftigen Riss ins Papier Zutritt verschafft haben und berichten streng chronologisch von den "Leiden des jungen Werther". Aufs weiße Papier geworfene Zahlen zeigen die Daten der Briefe. Die Verfünffachung des verzweifelt Liebenden erlaubt seine inneren Dialoge sichtbar zu machen. Zugleich verschafft sie die Möglichkeit auch den anderen Personen in Werthers persönlichem Drama eine Stimme zu geben. Doch seine Angebetete Lotte appelliert vergeblich an Werthers Vernunft und sein Nebenbuhler Albert wirbt vergeblich um eine unbelastete Freundschaft. Werther greift zum einzigen Trost, den er sich noch zum Beenden seiner Seelenqualen vorstellen kann, und erschießt sich.

Auf der großen Bühne des Schauspielhauses wird das bekannte Werk des jungen Goethe ganz nah an das Publikum herangerückt. Die Papierbahn wölbt sich auf der Vorderbühne den Zuschauern entgegen. Obwohl dies den Aktionsraum für die fünf Schauspieler verkleinert und auf die eigentliche Bühne verzichtet, erfüllt es seinen Zweck. Dass die Fünf während des Stückes ihre ganz eigene Persönlichkeit entwickeln können, liegt eindeutig an ihren darstellerischen Qualitäten. So erweist sich die zuerst irritierende Tatsache, dass auch zwei Frauen unter ihnen sind, als sehr schlüssig.

Regisseurin Florentine Klepper hat eine spannende Art gefunden, sich dem Briefroman auf der Bühne zu nähern. Die Beantwortung der Frage, ob es ein Stück für die große Bühne ist, mag man getrost den Zuschauern überlassen: In der gestrigen Aufführung waren kaum Plätze unbesetzt.

Birgit Schmalmack vom 1.2.06