Zigeunerjunge


www.hamburgtheater.de

Völkerverständigung ohne Worte

Hoffnungslos scheint die Lage in der Musikalienhandlung, die schon lange keine Kunden mehr gesehen hat. Muffig und düster wirken die dunkel, holzgetäfelten Regale, in denen einsame Notenständer, eine Tuba und zwei Geigen ihr Dasein fristen. Tochter Pauli (Katja Danowski) und Sohn Ludwig Amadeus (Janning Kahnert) untermalen mit eintönigen Akkorden am Klavier diese triste Atmosphäre. Der Blick des Vaters (Dietmar Löffler) in die leere Kasse sorgt für einen weiteren Stimmungsabsturz, der in ein blaues Auge der Mutter mündet, das sie sich in weiblicher Selbstaufopferung zufügt. Schließlich hängt das Familienoberhaupt ein Schild in das Schaufenster: Ladenhälfte zu vermieten. Vier osteuropäische Musiker (Tim Grobe, Philipp Otto, Sandra Maria Schöner, Kristin Graf) stürmen daraufhin mit Dutzenden von Taschen den Laden und breiten sich ihren kunterbunten Accessoires aus. Statt der getragenen deutschen Volks- und Schlagermusik sorgen nun Balkanrhythmen für neue Töne. Da werden die Hüften geschwungen, die Röcke geschürzt und die feuerrot gefärbten Haare geschüttelt. Die blasse blonde deutsche Familie steht verblüfft mit offenem Mund daneben und staunt über das ungewohnte Geschäftsgebaren ihrer neuen Mitmieter.

Als endlich ein Kunde (Achim Buch) den Laden betritt, beginnt ein zäher Wettbewerb um seine Gunst. Dieser behauptet zwar: "Music was the frist love and it will be my last." Doch immer wenn er genügend unterhalten worden ist, strebt er dem Ausgang zu. Das wissen die Musiker zu verhindern. Charmant oder drohend, aber stets unmissverständlich versperren sie ihm die Tür und konfrontieren ihn mit immer neuen Seiten ihres musikalischen Könnens. Aus dem Konkurrenzkampf wird allmählich ein gemeinsamer, an dessen Ende ein abgetrotzter Scheck und eine Hochzeit steht. Zuvor konnte das Publikum genüsslich verfolgen, wie sich die deutsche Steifheit allmählich durch verzweifelt geübte Bauchtanzschwünge lockerte. All diese Entwicklungsstufen zeigen die Darsteller perfekt. Besonders Marion Martienzen glänzt in ihrer Rolle als biedere Ehefrau, die sich zur kämpferischen Powerfrau entwickelt. Erik Gedeon hat es wunderbar verstanden die Klischees beider Seiten ironisch aufs Korn zu nehmen. Das Happy End versöhnt mit all den Spitzen, die er im Laufe des Abends verteilt, denn es gibt Hoffnung, dass gegenseitige Anregung und Verständigung über Kulturgrenzen hinweg möglich ist.

Birgit Schmalmack vom 17.2.09