Bierdeckelbibliothek


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Demokratisierung der Hochkultur

Der breiteren Öffentlichkeit möchte der Leiter des Berner Literatur-Instituts (Alexander Muheim), wie er mit einem vielsagenden Augenzwinkern den nur gut ein Dutzend zählenden Zuschauern im Monsun-Theater mitteilt, eine ganz besondere Art Bibliothek vorstellen. Dabei handelt es sich um ein noch fragmentarisches Werk, das er dank eines Hinweises aus der Nachbarschaft in einer Dachstube in der Berner Altstadt entdeckt hat. Es mag zwar für Nicht-Kenner unscheinbar wirken, ist aber, wie er glaubhaft versichern kann, ein Zentrum der Energie. Wie energetisch aufgeladen wirkt auch der zerstreute Wissenschaftler in dunklem Sakko mit Goldknöpfen, Wuschelkopf und Bermuda-Shorts. Von Zeit zu Zeit zischt er geradezu, als wenn er in eine Steckdose gegriffen hätte. Die entdeckte "Bierdeckelbibliothek" sprüht aber tatsächlich vor durch Bierkonsum inspirierten, philosophischen Weisheiten, die er nun dankenswerter Weise jedermann zugänglich machen möchte.

Mit viel Herzblut führt der Literatur-Liebhaber durch das naturgetreu in Hamburg-Altona nachgebaute "Bernsteinzimmer" von Bern. In den Müllsäcken schlummern noch viele staatsstörende, kulturelle Attentate, die entdeckt und entschlüsselt werden wollen. Auf KBD (Klosterbräu-Deckeln) und CD (Carlsen-Deckeln) warten noch den Kosmos öffnende Schätze wie "Dank Bier kommt man zu kostengünstigen Visionen" oder "Brot für Brüder, Wurst bleibt hier" oder "Lüge ist die Mutter aller Gewalt". Jedes Bier verpflichtete den Kurz-Prosa-Dichter zum Nachdenken und verhinderte so sinnloses Besaufen.

Seit den Zwischenfällen an den amerikanischen Hochhäusern ist der passionierte Biertrinker und Denker allerdings verschollen. So sind die Sympathisanten und Sympathisantinnen dieser kleinen Form der philosophischen Literatur auf die Vermittlung von Alexander Muheim angewiesen, der unter der Regie von Michael Oberer von der Remise Theater Bern eine sehr vergnügliche erkenntnisreiche Führung für das Hamburger Publikum arrangierte. Schade für jeden, dem er keine den Geist erweiternden Denkaufgaben wie diese mit auf den Heimweg geben konnte: "Jeder Gedanke enthält eine Lüge."

Hier wurde Hochkultur bierdeckelgerecht fürs Volk in kleinen Häppchen aufbereitet. Eine gelungene Vereinigung von Friedrich Leibnitz und Dieter Bohlen, wie der Autor Jürg Tschannen seine Absicht treffend charakterisierte.

Birgit Schmalmack vom 8.03.04