Wunderbares Gastspiel im Theater Haus im Park

Henry Boulanger holt nach der Pausenklingel statt der obligatorischen Zigarette aus der Schachtel ein Radieschen aus der Tupperdose; das beseitigt bei seinen Kontors-Kollegen (Jürgen Tonkel) die letzen Zweifel: Er ist ein komischer Sonderling. Jedes Glattstreichen seines altmodischen Strickpullunders und jedes sorgsame Zurechtrücken seiner Kaffeekanne zeugen von seiner regelbewussten, angepassten Persönlichkeit. Um keinen Preis will er auffallen. Und schafft es gerade dadurch. Als Franzose in London sticht er schon durch seinen Akzent aus der Menge heraus. Als er mit seinem Arbeitsplatz den Sinn für seinen geregeltem Tagesablauf verliert, kauft er sich einen Strick. Doch seine Ungeschicklichkeit lässt ihn auch in Sachen Selbstmord scheitern. So bestellt er sich einen Killer. Als er alles wie immer sorgsam geplant hat, spricht er unter Einwirkung seines ersten Whiskeys das Blumenmädchen Magrit (Merit Ostermann) an und verliebt sich prompt. Der melancholische Krimi kann seinen Lauf nehmen.

Wie bei seinem filmischen Vorbild von Aki Kaurismäki geschieht dies mit viel Muße für die stimmungsvollen Pausen. Auf der Theaterbühne verkürzen sich die Wartezeiten kurzweilig mit stimmungsvoller Live-Musik (Alex Haas, Stefan Noelle), die fantasievoll das Geschehen illustriert und kommentiert. Ein wahres Feuerwerk an Ideen entfacht der Regisseur Gil Mehmert mit seinen vielseitig begabten Darstellern. Da wird der Garderobenständer zur Haltestange des Vorstadt-Zuges. Da sagt der Schreibmaschinenrhythmus der Schreiberlinge mehr als tausend Worte über ihren Arbeitseifer. Den multifunktionalen Kubus auf der Drehbühne nutzt Regisseur Mehmert für ungeahnte Darstellungsmöglichkeiten: in eine Schreibstube, Dachgeschosswohnung, Kneipe, Bar, Rezeption, ein Hotelzimmer oder eine Pfandleihe kann er ihn durch intelligente Klappungen blitzschnell verwandeln. Der Hauptdarsteller (Eckhard Preuß) verkörpert überzeugend bis in die letzte Bewegung des verklemmten, lebensmüden Kontoristen Boulanger. Kaum Dialoge werden in diesem Sprechtheater benötigt. Genial lakonisches, unterhaltsames Theater, das den besonderen Stil seines Vorbildes auf die Spitze treibt und es trotzdem schafft seine Protagonisten in ihrer alltäglichen Absurdität ganz ernst zu nehmen. Schade für jeden Zuschauer, der den Weg bis nach Bergedorf zum Theater Haus im Park scheute.

Birgit Schmalmack vom 17.5.04