Iphigenie


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Vergebliches Warten auf die Erleuchtung

Während ihre Mutter Klytemnästra (Natali Seelig) schluchzt, bettelt, schreit und um das Leben ihrer Tochter fleht, richtet sich die zarte Iphigenie (als junges Mädchen: Lisa Hagemeister) zu würdevoller Größe auf, stellt sich auf einen Tisch und wird von einer Bühnenrückwand aus Scheinwerfern so sehr angestrahlt, dass sogar das Publikum geblendet ist. "Füge dich, Mutter! Ich werde zur Retterin der Griechin" befiehlt sie ihrer Mutter. Ihr Vater Agamemnon will sie der Göttin Artemis als Opfer darbringen um seine Schiffflotte aus der Flaute zu erlösen, damit er mit ihr in den Krieg ziehen kann. Iphigenie fügt sich dem Willen ihres Vaters.

Doch nicht die Titelfigur Iphigenie steht im Mittelpunkt von Stemanns Inszenierung im Thalia Theater, die im ersten Teil den Text von Euripides "Iphigenie in Aulis" zeigt. Er beginnt und beendet sie mit der Figur des Agamemnon (Alexander Simon). Wie ein Wirtschaftsboss in einen grauen Anzug gehüllt, sitzt er an einem Tisch in seiner engen Gedankenwelt vor dem Eisernen Vorhang und sinniert: "Nun......was ich damals verkehrt gemacht habe, mache ich jetzt wieder gut." Noch zaudert er: Was ist wichtiger: Sein Ruhm als Kriegsherr, der sein Heer in die Schlacht führen soll, oder das Leben seiner Tochter? Schnell hat ihn sein Bruder Menelaos (Felix Knopp) überredet; ein Kopfnicken entscheidet er sich für den Mord an seiner Tochter.

Nach der Pause folgt die Fortsetzung der Geschichte mit Goethes "Iphigenie auf Tauris". Die Göttin Artemis hat sie (als gealterte Frau: Katharina Matz) gerettet und lässt sie fortan auf Tauris ihren Dienst als Priesterin tun. Ihre Schönheit und Sanftmut beeindruckten den dortigen König Thoas (ebenfalls Alexander Simon), der ihr Asyl gewährte. Nach vielen Jahren stranden zwei Unbekannte an der Küste. Sie erkennt in ihnen ihren Bruder Orest und sein Freund. Doch auf Tauris ist es üblich, Fremde der Göttin zum Opfer zu bringen. Iphigenie wagt die Flucht nach vorne: Sie appelliert an die Menschlichkeit des Königs und gesteht ihm die volle Wahrheit ihrer Herkunft, die sie bisher verschwieg.

Am Ende sitzt Alexander Simon wieder an seinem Platz vor dem Eisernen Vorhang und wiederholt seinen anfänglichen Satz. Er könnte seinen Fehler an seiner Tochter wieder gut machen. Als König Thoas hätte er die Möglichkeit den drei Fremden die Freiheit zu gewähren und so die Spirale der Gewalt zu unterbrechen. In seiner Macht ruht die Entscheidung über Tod und Leben.

Stemann richtet durch die Verknüpfung der beiden Stücke den Blick auf Fäden der Mächtigen in den Führungsetagen. Dass die Leidtragenden ihrer Entscheidungen eher als Spielfiguren der Machthaber statt als Menschen mit persönlichen Konflikten gesehen wwrden, nimmt Stemann bei seiner Fokussierung in Kauf. Der Himmel schenkt uns keine Erhellung mehr. Auf die Errettung durch die Götter werden wir vergeblich warten. Auch der Bühnenbildner Lukas Mayer unterstreicht diese Sichtweise, indem er den schwarzen Bühnenraum nur mit einer strahlenden Rückwand bestückte. So erkennt der geblendete Zuschauer: Je mehr wir uns in mystischen Erleuchtungstheorien verlieren, desto weniger sehen wir. Die Spirale der Gewalt ließe sich nur durch eine Zurückgewinnung der Humanität unterbrechen. Mit lang anhaltendem Applaus feierte das Premierenpublikum die Inszenierung Stemanns am Sonnabend.

Birgit Schmalmack vom 24.9.07