Erde und Asche


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Krieg raubt den Menschen die Stimmen

Ein älterer Mann hockt in einem staubbraunen Anzug mit passendem Hemd und nackten Füßen auf einem Stuhl in dem leeren, abgeschlossenen Raum der Bühne des Schauspielhauses - zusammen mit den Zuschauern, die ihn von drei Seiten zusehen bzw. -hören. Er wünscht sich noch ein einziges Mal so schlafen zu können wie ein Neugeborenes. Doch was er erlebt hat, lässt ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Stockend erzählt er seine dramatische Geschichte: Sein Dorf wurde durch einen Bombenangriff der Russen dem Erdboden gleich gemacht. Zusammen mit seinem kleinen Enkel, der seit dem Angriff taub ist, ist er einer der wenigen Überlebenden. Der Kleine glaubt, dass die Bombe den Menschen die Stimmen geraubt hätte. Nun nimmt ihn der Großvater mit auf den schweren Weg zu seinem Sohn bzw.Vater, der seit vier Jahren in einer Mine das Geld für die Familie erarbeitet. Er muss ihm mitteilen, dass seine gesamte Familie und Besitztümer zerstört sind.

Mit getragener, kaum modellierender Stimme trägt Hans Diehl stockend mit vielen Pausen den Text einer Auszugsfassung des Romans "Erde und Asche" von Atiq Rahimi vor. Regisseur Laurent Chétouane geht bei seiner szenischen Umsetzung des Selbstgespräches gewohnt textbezogen, strukturiert und konzentriert vor. Er lässt nur den poetischen, bezugreichen Text von Rahimi sparsamen Musik- und einigen Tonbandeinspielungen der weiteren Personen sprechen. Diese antworten Diehl mit seiner eigenen Stimme. Auch seine Bewegungen sind auf die nötigsten reduziert. Aus den geplanten eindreiviertel Stunden wurden bei der Premiere zweieinhalb, die den Zuschauern sehr viel Ausdauer und Geduld abforderten. Was Chétouane bei "Psychose 4.48" im Malersaal aufgrund der starken Präsenz seiner Darstellerin hervorragend gelang, erfordert hier mehr Eigenarbeit vom Zuschauer, wenn er sich in die beeindruckende Geschichte um Krieg, Liebe und Moral einfühlen möchte.

Birgit Schmalmack vom 27.4.03