16 Verletzte


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Die Trennlinie zwischen gut und böse

"Ich weiß einfach nicht mehr, was ich als gut und böse ansehen soll", meint Nora (Elisabeth Degen), die Bäckerei-Aushilfe zu ihrem Chef, dem Bäcker Hans (Michael Degen). Die klare Trennlinie zwischen richtig und falsch ist für sie verschwommen, seit sie den Palästinenser Mahmut (Mehdi Moinzadeh) kennen gelernt und sich in ihn verliebt hat. Der aus seinem Land Geflüchtete hatte Unterschlupf in der Amsterdamer Bäckerei gesucht.

Auch für Mahmut hält sein neuer Aufenthaltsort neue Erkenntnisse bereit, denn Hans ist Jude. Für Mahmut waren die Juden bisher nur die Täter, die sein Volk in die Opferrolle der Vertriebenen, Erniedrigten und Unterdrückten zwangen und gegen die sich sein Land nur im Terrorkampf wehren konnte. Auch Mahmut hatte vor seiner Flucht eine Bombe in einen Bus geworfen und billigend in Kauf genommen, dass dabei auch Kinder verletzt und getötet wurden. Jetzt steht sein Bruder wieder in der Backstubentür und fordert ihn zu einer zweiten Heldentat auf. Doch inzwischen hat sich die Lage für Mahmut verändert: Nora bekommt ein Kind, er wird Vater werden und mit ihr eine kleine neue Familie gründen. Wie wird er sich entscheiden?

Ein höchst aktuelles Theaterstück haben die Kammerspiele mit "16 Verletzte" in ihr Programm aufgenommen. Zunächst sind die Charaktere noch eindimensional definiert: Der Araber ist aufbrausend, aggressiv, leicht gekränkt und wenig gesprächsbereit. Der Amsterdamer Jude ist vermittelnd, hilfsbereit, lebensklug und zurückhaltend. Doch dann zeigt der Autor Eliam Kraiem die Entwicklung der Personen, die sie im Laufe ihrer Erfahrungen miteinander durchmachen und es kommt Spannung in das Spiel. Alles scheint möglich: Eine Verständigung zwischen den Vertretern der verfeindeten Völker scheint greifbar nahe. Mahmut gewinnt Vertrauen, öffnet sich und lässt hinter seine Fassade blicken. Auch Hans offenbart seine eigene, selbst lang fest verschnürte Lebensgeschichte. Ein neuer Anfang schien ihn nach dem Krieg nur möglich, indem er seine jüdische Herkunft verleugnete und die Ermordung seiner Eltern im KZ verdrängte. Michael Degen spielt ihn auf faszinierend eindrückliche Art.

Schnelle Antworten liefert die Inszenierung von Albert Lang zum Glück nicht, dafür aber viele Diskussionsansätze und Fragen.

Birgit Schmalmack vom 10.10.06