Das Leben ist ein Traum


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Eine Fantasy-Reise in ein fernes Land

"Is this the real life or it's just fantasy?" singt die Hofgesellschaft zur Ankunft von Sigismund als neuen Herrscher. Seit seiner Geburt wurde der Königssohn gefangen gehalten, weil seinen Eltern durch eine Prophezeiung vorhergesagt wurde, dass er ein Tyrann werden würde. In seiner Gefängniskugel schwebte Sigismund seitdem über seinem Land Arion. Sein Kerker- und Lehrmeister (Stephan Schaad) war bisher der einzige menschliche Kontakt für ihn. Nun aber ist sein Vater alt und braucht einen Nachfolger für den Thron. Ihm kommen Zweifel an seiner damaligen Entscheidung. Für einen Tag will er seinen Sohn die Gelegenheit geben zu beweisen, ob er ein guter Herrscher sein würde. Schlafend lässt er ihn in den Palast bringen. Als er erwacht, windet sich der kalkweiß geschminkte Sigismund wie ein Wurm aus seinem weißen Bettlaken. Doch er besteht die Prüfung seines Vaters nicht: Nur Rachegelüste und Machtgier beherrschen sein Denken und Handeln. Nach dem ersten Todesopfer zieht der König die Notbremse und lässt ihn erneut wegsperren.

Waren die Stunden, die Sigismund am Hofe erlebt hat, nur ein Traum, so wie ihm hinterher der Kerkermeister weiß machen will? "It's just fantasy?", wie ihm alle sangen? Hat er die schöne Estrella (Anna Steffens) nicht gesehen und berührt? Hat er nicht mit Astolf um das größere Ansehen gebuhlt? Hat er nicht seinem Vater zum ersten Mal leibhaftig gegenüber gestanden? Hat er sich nicht in die liebenswerte und um ihren Verlobten Astolf (Jan-Georg Schütte) betrogene Rosaura verliebt? Wenn das alles nur ein Traum war, dann ist das ganze Leben nur ein Trip in die Fantasie, den der Mensch kurzfristig mitmachen darf, erkennt Sigismund in seinem Kugelgefängnis.

Doch der geläuterte Sigismund erhält eine zweite Chance, seine gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen: Revolutionäre befreien ihn aus seinem Kerker. Seine Anhänger - vier Kopien seiner selbst in Ganzkörperanzügen - stürmen sein Gefängnis und erklären ihn zu ihrem Führer gegen den König. Dieses Mal nutzt Sigismund seine Chance: Er erweist sich als weise und gnädig gegen den unterlegenen Vater.

Stefan Bachmann hätte die Vorlage von Pedro Calderon de la Barca leicht zu einem moralinsauren Lehrstück werden lassen können. Doch dann hätte die Aufführung wohl kaum zu einer adäquaten Bespielung des Sommertheaterzeltes an der Alster gepasst. So nimmt er seine Zuschauer mit auf eine Fantasyreise in ein Land Arion, in dem es Narren (Andreas Köhler) mit roten Nasen, alte Könige, die wie Puppen auf die Bühne getragen werden müssen, Pasadoble tanzende Fürstinnen, als Männer verkleidete Frauen und mit Staub bedeckte Kerkermeister gibt. Da klingt das Schwert, das Rosaura (Melanie Kretschmann) mit sich führt, wie das Laserschwert von Lucky Skywalker. Da stürmt, knallt, ballert, blitzt und nebelt es immer wieder. Da donnern die Schritte von Astolf wie Gewitterschläge. Da sorgt der Narr für etliche, auch unfreiwillige Lacher. So gelingt Bachmann gute Unterhaltung mit ein wenig Philosophie als Untergerüst.

Das Ensemble sorgt mit dafür, dass letztere gebührend zur Geltung kommen. Allen voran Norman Hacker als Sigismund, der seiner Figur Verzweiflung, Gedankentiefe, Erkenntnis und Läuterung glaubwürdig verlieh. Zur Seite standen ihm Markwart Müller-Elmenau als weiser, leicht vertrottelter König, Anna Steffens als durchsetzungsfähige, stolze Estrella und Stephan Schaad als geduldiger, ergebener Lehrmeister.

Birgit Schmalmack vom 30.6.08