Amerikanische und bundesdeutsche Identitätssucher

Wer bin ich? Diese Frage stellt sich nicht nur der langmähnige Mitzwanziger im schwarzen Yoga-Anzug in "RobbyKallePaul" sondern auch Peter Parker alias Spiderman in "Die Spinne und ich". Doch während im ersten Stück der beiden, die im Rahmen des Festivals "Außer Atem" am Hamburger Premierentag auf Kampnagel gezeigt wurden, eine vergnügliche, kurzweilige Befindlichkeitsstudie aus der Zeit der späten achtziger Jahre vorgeführt wurde, will das zweite Stück die amerikanische Seele ausloten.

Jorinde Dröse erzählt nach dem gleichnamigen Film von Dani Levy aus dem Jahre 1988 von den Nöten einer Dreier-Männer-WG mit den Frauen. Robby (Jörg Kleemann) kommt von einer Reise aus Japan in sein WG-Zimmer zurück und muss feststellen, dass sein Wohngenosse Kalle (Alexander Wüst) sich derweil mit seiner Freundin Henny vergnügt hat. Er begibt sich daraufhin nicht auf Suche nach einer neuen Frau sondern in der Yoga-Meditations-Stellung nach seiner inneren Mitte. Der dritte Mann im Bunde ist der Jung-Spießer, Angestellte, Anzugträger, Bayer und Pünktlich-Zahler Paul (Felix Lampe), der sich zunächst gerne vom selbsterklärten, langbeinigen Frauen-Magneten Kalle Tipps für die Eroberung von weiblichen Bettgenossen geben lässt. Ernsthaft gestört wird ihr Verhältnis jedoch, als Kalle auch Pauls Damenbesuch mit seiner Gitarre geschickt in sein Zimmer und auf seine Matratze umlenkt. Erst beim gemeinsamen Fußball-Gucken finden die drei Männer wieder zu einer Sofagemeinschaft zusammen und beschließen die ganz große Chance zu nutzen und die nächsten drei Tage bis Silvester ohne Frauen auszukommen.

Dröse schafft es mit ihrer zum Teil aus anderen Produktionen bewährten Schauspielerriege in comichafter Überzeichnung eine Zeit mit langen Mähnen, Latzhosen, engen Jeans, türkisbunten Trainingsanzügen, friedensbewegten Jungstudenten und emanzipiert-freizügigen Frauen wieder auferstehen zu lassen, die den Rückblick punktgenau und interessant karikiert.

Ulf Otto hat sich für seine Umsetzung des Spiderman-Stoffes viel vorgenommen: An Hand der ganz privaten Seite des amerikanischen Helden will er die politischen Reaktionen Amerikas auf den 11. September erklären und somit dem europäischen Unverständnis entgegenwirken. Er verschafft spannende Einblicke. Die immerwährende Vergewisserung des amerikanischen Selbstverständnis der Freiheit bedingt eine umso aggressivere Abwehr gegen Angriffe auf dieses Amerika. So mutiert der anfangs dickliche, schüchterne, pickelige Peter Parker zu dem kraftstrotzenden Helden, der in der Lage ist selbst Attentaten auf Hochhäusern Einhalt zu bieten. Dass er damit gleichzeitig seine schon seit Kindheitstagen verehrte Marie (Stefanie Höner) für sich zu gewinnen vermag, kann als glücklicher Nebeneffekt gewertet werden. Leider kann er sich diesem Gefühl nicht lange widmen, denn seine Pflicht als amerikanischer Retter fordert ihren männlichen Tribut.

Otto schafft es, durch einen geschickten Schachzug die actionreichen und verwickelten Handlungsstränge der Filme auf die Bühne zu bringen: Er lässt einen smarten Talkmaster (Bert Böhlitz) mit seiner intuitiven, einfühlsamen Assistentin, die gleichzeitig die Rolle der Marie übernehmen kann, in der Befragung des Helden seiner Entwicklung Revue passieren. Böhlitz' enorme schauspielerische Wandlungsfähigkeit nutzt Otto aus, indem er ihn außerdem in die Rolle von Peters Freund und späteren Gegner Norman schlüpfen lässt.

Die beiden ersten Stücke der insgesamt sechs des Nachwuchsfestivals, die alle in der gleichen, aber flexiblen Bühnendekoration von Ester Bialas spielen, machen Appetit auf mehr Kostproben des Talentes, der Einfälle und der Sichtweise der beteiligten jungen Regisseure auf berühmte Filmstoffe

Birgit Schmalmack vom 11.01.04.