Nur auf der Durchreise

Die Frau kann ihren Geliebten nicht gehen lassen. Obwohl er schon das Totenhemd übergestreift hat, vermag sie ihn nicht los zu lassen. Doch seine Zeit auf der Erde ist um, er wird abgeholt. Zur Totenglocke schreitet inmitten der weiß gekleideten Gruppe hinaus.

John Neumeier hat es in seiner tänzerischen Umsetzung des Requiems von Mozart brillant verstanden das Thema Leben und Tod in einen transzendenten Raum zu stellen, der die Gefühle zu Bilder und Tönen werden lässt.

Eine lange Wartebank markiert, dass die Menschen auf der Erde nur zu Gast sind. Sie befinden sich auf der Durchreise zu einer anderen Daseinsform. Sie vertreiben sich die Zeit mit Begegnungen mit den anderen Wartenden. Sie finden zueinander, wenn sich die Interessen gleichen. Sie treiben wieder auseinander, wenn sie unterschiedliche Beweggründe leiten. Als eine Tänzerin nach Höherem strebt, auf die Balustrade klettern und herunterstürzt, sind die anderen da, um sie aufzufangen. Am Schluss finden sie sich in einer großen Umarmung zusammen, um gleich darauf wieder auseinander zu brechen. In dieser Welt bleiben sie ein Individuum. Dagegen entwickelt die Gruppe der weißen Lichtgestalten ihre meditativen Bewegungen als homogene Teamarbeit.

Die Tänzer des hervorragenden Ensembles beeindrucken durch ihre ausdrucksstarke Darstellung. Zwischen die emotional mitreißenden Sätze von Mozart setzt Neumeier gregorianische Gesänge, die einen wohltuend ruhigen Gegenpol schaffen. Das "Requiem" bleibt auch 14 Jahre nach seiner Erstaufführung ein Höhepunkt aus dem Schaffen Neumeiers.

Birgit Schmalmack vom 28.10.05