Stomping on the Blues - Rhythm Instrument


www.hamburgtheater.de

Der Körper als Instrument

Vier weiße Säcke hängen von der Bühnendecke. Aus einem rieselt weißer Sand. Ein Scheinwerfer erhellt den Sandstrahl. Aus einem zweiten Sack schält sich ein nackter Mann und fällt zu Boden. Als er aufsteht trägt er vor seinem Geschlecht ein Mikrophon. Sanft streicht er darüber. Die entstehenden Geräusche mischen sich mit denen eines zweiten, ebenfalls unbekleideten Mannes, der seine Vorderfront mit einem kleinen Zupfinstrument bedeckt hält, das eine Melodie erklingen lässt.

Johnny Lloyd zeigt in seiner Choreographie "Rhythm Instrument" nicht nur diesen Weg, wie der Körper zum Instrument werden kann. In drei Teile, die von zwei Pausen unterbrochen werden, ist sie unterteilt. Im ersten Part, in dem man sich zu den Ursprüngen begibt, sind die insgesamt fünf Tänzer und Musiker in weiß gekleidet und mit Kalk bestäubt. Der Körper wird auf scheinbar einfache Art zum Instrument. Das Klatschen in die Hände und auf den Oberkörper und die Schenkel schafft Rhythmen, der keine weitere musikalische Untermalung braucht. Wenn dann die Füße noch zum Stampfen, Trippeln, Schlurfen oder Steppen benutzt werden, in das Körperorchester komplett.

Im zweiten Teil ist lockere Freizeitkleidung angesagt, in der sich ungehemmt nach neuen Wegen suchen lässt. Die Experimentierfreude tobt sich hier nicht nur auf dem Gebiet des Rhythmus aus, sondern auch in der Erkundung der Geschlechterrollen. Gerade im Hinblick auf das gesellschaftliche Verständnis von Tanz und Tänzern lassen sie sich gut reflektieren. Das spannungsgeladene Duo von Lloyd und Philipp van der Heyden erprobt die Möglichkeiten des Mannseins. Wie viel Zärtlichkeit ist zwischen Männern erlaubt? Nachdem die Grenzen durch Showkämpfe abgesteckt sind, kommt eine Frau ins Spiel. Die Lindy-Hop-Tänzerin Hanna Zettermann legt im roten kurzen Kleidchen mit ihrem Stockholmer Kollegen Mattias Lundmark eine temperamentvolle Sohle aufs Bühnenparkett und sorgt für neue Konkurrenzanreize innerhalb der Männersolidarität.

Im letzten Teil wird die Entwicklungsphase bis zu den in Grau verkleideten Männern der westlichen Bürohemisphäre verfolgt. In Schlips und Kragen sind ihre Rhythmusvariationen auf die üblichen knappen Kommunikationssymbole beschränkt, die man(n) so untereinander austauscht. Wie kleine verkleidete Männchen, die sich sehr weit von ihren Wurzeln entfernt haben, wirken sie jetzt. Der Tänzer Carlos Ngugi bringt dies in seinem Solo auf den Punkt: Wie ein Roboter bewegt er sich zur Musik. Zum Schluss treten alle nur noch leise auf der Stelle, bis auch der letzte von ihnen zum Stillstand gekommen ist.

Einfühlsam wird die Erkundungsreise durch den ebenso experimentierfreudigen Solomusiker Sven Kacirek begleitet, der mit Schlagzeug, Vibraphon, Loopgerät und Synthesizer immer wieder aufs Neue überraschende Klänge erzeugt.

Lloyd zeichnet mit feinem Humor und selbstironischem Unterton den Weg der heutigen Männer. Ihr Verhältnis zu ihrem Körper wird anhand ihres Verhältnisses zum Tanz analysiert. Ihm gelingen kluge Kommentare zur Männerrolle. Dass jeder der Tänzer seinen eigenen Tanzstil behalten darf, bereichert die Choreographie dabei entscheidend. Lloyds letzter Teil seiner Trilogie "Stomping on the Blues" überzeugt somit in jeder Hinsicht: Sowohl durch die tänzerische Perfektion der Beteiligten, den künstlerischen Anspruch, den Ideenreichtum der Umsetzung wie durch seine konzeptionelle Intelligenz.

Birgit Schmalmack vom 23.12.07