Woyzeck


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Wie ein geprügelter Hund

... schleicht sich Woyzeck (Devid Striesow) von der Bühne. Ständig wird er von seinen Vorgesetzten herumgeschubst. Analysiert und ausgenutzt von dem experimentierfreudigen Doktor. Betrogen von seiner Freundin Marie. Unverstanden bleibt er von seinem Freund Andres. Er kämpft um sein Recht auf ein würdiges Leben. Doch die Armut zwingt ihn zur Unterwürfigkeit, zum blinden Gehorsam, zum bloßen Funktionieren. Bei Regisseur Laurent Chétouane kämpft er auch mit den Worten. Wort für Wort spuckt er sie hinaus, so als müsste er sich durch sie hindurcharbeiten. Sinn ergeben sie wie sein ganzes Leben wohl schon lange nicht mehr. Hoffnungen schimmern nicht mehr durch sein fortwährendes Stammeln, Stottern und Straucheln hindurch. Marie ist ihm keine Hilfe. Sie braucht selbst Hilfe. Als uneheliche Mutter hofft sie eher auf einen prestigeträchtigeren Versorger.

Chétouane setzt ganz auf den Text von Büchner. Doch dieser ist ein Fragment geblieben. Chétouane füllt die Lücken nicht eigenmächtig aus. Sie bleiben ein Symbol für Woyzecks Leben. Das stellt hohe Anforderungen an das Publikum und die Schauspieler. Die Darsteller müssen mit ihrer Präsenz die Leerstellen ausfüllen, da Chétouane ihnen keinerlei Hilfsmittel an die Seite stellt und gleichzeitig die Texte symbolisierend verkünsteln und verzerren lässt. Doch auch das Publikum hat einiges zu leisten. Höchste Konzentration ist über zweieinhalb Stunden gefordert. Starre Konstellationen, kaum Entwicklungen, abgehackte Gesprächsfetzen wollen erfühlt und verstanden werden. Wer sich darauf einlassen kann, erlebt einen spannenden Abend voller neuer Erkenntnisse über den Menschen Woyzeck und seine Abhängigkeit und Hoffnungslosigkeit. Devid Striesow gebührt die Bewunderung für höchste schauspielerische Leistung. Er zeigt die tiefe, grenzenlose Verzweiflung dieses Menschen, die sich langsam in eine mühsam zurückgehaltene Wut steigert. Jeden Moment könnte die Entladung kommen. Dass Chétouane sich entschieden hat, die vierte Fragmentversion ohne Mord und Selbstmord zu für seine Inszenierung zu wählen, macht die Tragik umso deutlicher. Nicht mal der Abbau der Spannung wird ihm und den Zuschauern gegönnt.

Birgit Schmalmack vom 17.5.05

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