Alle wollen nur das Eine

Leichtgewichtige Unterhaltung ist über Silvester noch einmal in den Kammerspielen angesagt: Natalia Wörner und Herbert Knaup zeigen unter der Regie von Peter Löscher David Hares auf modern getrimmte Version des Schnitzlerschen "Reigens". In kurzen Sequenzen begegnen sich in zehn Abschnitten ein Mann und eine Frau, die schnell auf den scheinbar einzig interessanten Zweck ihres Zusammentreffens kommen: Sie landen im Bett - falls eines vorhanden ist, ansonsten tut es auch eine Betonsäule, ein Küchentisch oder eine Pappkartonreihe. Die Länge bzw. Kürze der investierten Zeit wird über ein Leuchtschriftband eingeblendet, dessen Durchlaufen das diskrete Abblenden des Geschehens auf der Bühne überbrückt und bei den Zuschauern für ein mitleidiges (45 Sekunden), verstehendes (O Minuten) oder wissendes (2 Stunden 36 Minuten) Lachen sorgt.

Dieses stetige Bäumchen-wechsel-dich-Spiel verlangt den Schauspielern eine enorme Wandlungsfähigkeit ab. Die Zeichnung der Rollen reicht aber kaum über die Abbildung von Klischees hinaus: die kapriziöse Schauspielerin, der macho-hafte Taxifahrer, das frierende Straßenmädchen,  der gewollt lyrische und geheimnisvolle Dramatiker, die keusche, bebrillte Politikergattin, der schüchterne Student usw. Da alle Figuren einen zweimaligen Auftritt haben, hätte sich die Möglichkeit zur hinterfragenden Differenzierung geboten. Leider wird sie nicht immer ausgeschöpft. Natalia Wörner scheint unterfordert mit den Frauenrollen, die ihre vermeintliche Geistlosigkeit zu Markte tragen (Model, Straßenmädchen). Erst bei den selbstbewusster auftretenden Figuren (Politikergattin, Schauspielerin) kann ihre starke Bühnenpräsenz und Ausstrahlung voll zur Geltung kommen. Die der ersten Kategorie überwiegen leider. Herbert Knaup überzeugt in der Rolle des bestimmend und moralisch auftretenden Politikers, der sich nur mit dem Model traut seine sexuellen Fantasien auszuleben. Wenn er aber in seiner Version eines Dramatikers mit wehendem schwarzen Mantel über die Bühne stapft, zeigt er nur ein weiteres überzogenes Klischee.

Neue Erkenntnisse über das Verhältnis zwischen Mann und Frau und ihre wohlmöglich unterschiedlichen emotionalen und sexuellen Bedürfnisse darf man sich von diesem Abend nicht erwarten. Nur eines ist erstaunlich: Die Rollenfestlegung der Geschlechter scheint seit dem 19. Jahrhundert nicht große Fortschritte gemacht zu haben.Was zu Zeiten Schnitzlers noch für Entrüstung sorgte, ringt heute keinem mehr einen Aufschrei ab, da die Auf- und Abgeklärtheit der Zuschauer netterweise nicht mit pikanten Details überstrapaziert wurde. So konnte sich das Publikum konnte an dem offenherzigen Austausch von pointierten Allgemeinplätzen erfreuen. Mit lang anhaltendem Beifall belohnten sie den amüsanten Dauereinsatz der beiden Darsteller.

Birgit Schmalmack vom 31.12.01