Unscharfe Bilder


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Nur eine Frage des Überlebens

Dem Vater kann die Tochter vertrauen. Schon beim Fliegenlassen als kleines Mädchen, nur gehalten von seinen Armen, hat sie den Beweis dafür bekommen. Im Gegensatz zu Tante Astrid, die den kleinen Michael im entscheidenden Moment los und auf den Rasen stürzen ließ, konnte sie sich auf ihren Vater hundertprozentig verlassen. Doch jetzt, vierzig Jahre später, erscheint dieses Vertrauen erschüttert. In der Wehrmachtsaustellung glaubt sie ihren Vater auf einem der Fotos mit einem Gewehr in der Hand entdeckt zu haben. Die enge Vater-Tochter-Beziehung wird einer harten Erprobung in den nun folgenden Gesprächen unterzogen. Und der Vater stellt sich den bohrenden Fragen seiner Tochter.

"Wo warst du?" "Ein Ich existierte im Krieg nicht. Ein guter Soldat war ein guter Kamerad." "Ein schlechter Soldat wäre vielleicht ein guter gewesen?" Der Vater geht auf alle Fragen widerstrebend aber konsequent ein. Er konfrontiert sich selbst und seine Tochter mit allen grausigen Erinnerungsbilder. Er schildert den täglichen Anblick von zerstückelten Leichenteilen, verstümmelten schreienden Menschen, die unglaubliche Todesangst, den Hunger und die Kälte. Das will sie nicht hören. Sie will die Schuldfrage klären. Hat sich der einfache Soldat schuldig gemacht? Sind die Verbrechen nicht nur von den Nazis sondern von den Deutschen insgesamt begangen worden, sogar von ihrem eigenen Vater? Hat auch er wehrlose Menschen ermordet? Es ging nur ums Überleben, antwortet der Vater. Erst als sie insistiert und immer weitere Beweisfotos vorlegt, differenziert er seine Erinnerungen um weitere verwirrende Aspekte: Er erzählt von seinen Kontakten zu russischen Partisanen und von seiner mutigen Verhinderung einer Vergewaltigung. Gleichzeitig bestätigt er ihre Vermutung: Der Soldat auf dem Foto mit dem Gewehr in der Hand könne er gewesen sein. Wer überlebt: Er oder ich, sei immer wieder die lebensentscheidende Frage gewesen. Eine klare Antwort bleibt der Tochter verwehrt.

Ulla Hahn hat die Roman-Vorlage für "Unscharfe Bilder" geliefert, die Georg Immelmann für die Bühne in den Kammerspielen eingerichtet hat. Der konzentrierte Fokus auf die beiden Beteiligten versucht die Schärferstellung des Blicks auf Fragen und Antworten nach Schuld, Verarbeitung, Erinnerung, Vergessen. Er stellt den Generationenkonflikt in ungewöhnlich scharfer Auseinandersetzung dar. Die Tochter treibt wahrhaftiges Interesse an ihrem Vater, an der Moral und an der gesellschaftlichen Schuld an. Und der Vater stellt sich dieser Auseinandersetzung in ebenso ungewöhnlich offener Art. Ihr Gespräch ist gekennzeichnet von Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Vertrauen und Liebe. So liefert dieser Theaterabend einen höchst aktuellen Beitrag zur Moral in Kriegszeiten und zeigt gleichzeitig einen spannenden Vater-Tochter-Konflikt. Die etwas beliebig wirkende Bühnengestaltung lassen die beiden prägnanten, überaus präsenten Schauspieler nebensächlich werden - so vereinnahmend sind Sabine Falkenberg und Friedhelm Plok in ihrem beeindruckenden Spiel

Birgit Schmalmack vom 10.5.04.