Autodrom


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Apocalypse soon

Nicht nur des Deutschen liebstes Kind ist das Automobil - auch in der Schweiz scheint es für mehr als nur ein Fortbewegungsmittel zu stehen. Die Züricher Innovations-Gruppe Mass und Fieber eröffnete im Thalia in der Gaußstraße am Osterwochenende die Messe "Autodrom" und führte die Visionen der Maschinenliebe vor. Die neuen Modelle mit ihren klangvollen Namen wurden der mehr oder weniger zahlungsfreudigen Kundschaft vorgestellt. Am lebenden Objekt der hereinschwebenden Schauspieler in den fantasievollen Karosserie-Kostümen konnten die erotischen, funktionellen oder Image fördernden Qualitäten überprüft werden. Vielleicht fällt die Wahl auf den neuen Van, der für den Fun-Daddy genau das Richtige ist? Er könnte mit ihm ebenso bei seinen Jüngsten auf der Querfeldeinfahrt wie bei den Miezen auf der Partymeile Eindruck schinden. Das Gegenteil erfüllt das Modell Renault Robinson: Es ist tarnkappentauglich. Es macht in seiner unscheinbaren Durchschnittlichkeit fast unsichtbar.

Die neun eigenwilligen und brillanten Darsteller und Musiker unter der Federführung von Niklaus Helbing stimmen zu Ostern in Hamburg eine Lied der Freude an. "Ein Gefährt ist uns geboren, ein Straßenfürst uns erschienen." Wahrlich gibt es gute Gründe für eine Jubelode an das Auto, doch die Freude über die freie Fahrt für freie Bürger endet jäh, wenn man zur Bewegungslosigkeit verurteilt im Stau steckt. Dann liegen die fahrbaren, aufrechten Holzplatten, die ansonsten als Trennwände, Gefährt oder Projektionsfläche dienten, flach und blockieren sich gegenseitig.

Einen perfide realistischen Einblick in die Persönlichkeitsstrukturen von Porschefahrerinnen, Passatbesitzern, Vertreterseelen und durch Navigations-Programm-Gesteuerte geben die drei weiblichen und zwei männlichen Schauspieler/innen in ihren Einzelkabinen mit Frontautoscheiben. Klar dass es irgendwann zum großen Crash kommen muss, wenn Herr Karsten Becker (Andreas Schröders) bei seinem nagelneuen Audi 8 das Gaspedal durchdrückt, wenn Bernadette (Fabienne Hadorn) sich in ihrem rasenden Porsche parallel zu ihren waghalsigen Überholmanövern schminkt, wenn Marco (Silvester von Hösslin) heftig mit der sexy Stimme seines JPS flirtet und Christine (Martina Schiesser) ihrem Ehegemahl auf der Autobahn einen Seitensprung gesteht. Nach dem endgültigen Stopp ihrer Lebensraserei freuen sich die Mitarbeiter der Mental-Tuning-AG über das neue Organmaterial, das ihrem Forschungsauftrag zur Erhöhung der Sicherheit von künftigen Autofahrern dienen soll. Doch der Klimakollaps kommt ihnen, die mit ihrer Arbeit zur Vernichtung der Ozonschicht beitrugen, dazwischen. Das Modell "Mensch" ist von der Natur als untauglich ausgesondert worden und hat eine neue Art entstehen lassen: die Kentautoren. Auf ihrem das "Autodrom" abschließenden Fest feiern sie einen Prototypen, der das Ende der Zweiteilung darstellt. Eine Menschmaschine, ein homo automaticus ist geboren, der den Menschen mit dem Gefährt eins werden lässt. Die Messe von Mass und Fieber hat die ultimative, visionäre Neuentdeckung unserer Zukunft gefunden. Trösten kann uns überholte Kreaturen nur, dass unser Ende nicht das Ende des Planeten bedeutet; getreu der Darwinschen Evolutionstheorie waren wir einfach nur zu schwach zum Weiterleben.

Birgit Schmalmack vom 11.4.04