Lantana


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Nichts Besonderes

Eigentlich nichts Außergewöhnliches schildert der australische Autor Andrew Bovell in "Lantana". Nur etwas, was die Mehrzahl aller Paare im Laufe ihres Beziehungsleben erleben wird: die Abnutzungserscheinungen ihrer Liebe und die daraus resultierenden Unsicherheiten, Lügen, außerehelichen Vergnügungen, wechselseitigen Enttäuschungen und Verletzungen. Neun Menschenleben beleuchtet er dafür in drei Teilen näher.

Regisseur Stephan Kimmig fängt in Teil 1 passend zu den Vorfällen, die noch die Fassade zu wahren versuchen, scheinbar harmlos an. Zu Partymusik werden in einer praktisch braun vertäfelten, ordentlich sauberen Hotelhalle (Bühne: Katja Haß) parallel die unbeholfenen Annäherungsversuche, die auf einen One-Night-Seitensprung abzielen sollen, von Pete (Norman Hacker) und Sonja (Judith Hofmann) und von Leon (Markus John) und Jane (Maren Eggert) gezeigt. Beide sind mit dem jeweils anderen Partner verheiratet und ahnen nichts von den abendlichen Aktivitäten des vermeintlich Überstunden machenden Ehegefährten. Nur Jane und Pete sehen sich der Wahrheit so sehr verpflichtet, dass sie ihre Absichten bei der Heimkehr in die eheliche Wohnung gestehen und von ihren nicht so ehrlichen Partnern verlassen werden - wenn auch nur kurzfristig als eindringliche Warnung für die Zukunft.

Teil 2 lässt hinter die Fassadenwand der Panelenvertäfelung blicken. Die braune Halle ist zu einer Baustellen-Tropfsteinhöhle geworden, in der Eimer den Regen, der durch das durchlöcherte Dach tropft, auffangen. Die Psychologin Valerie (Anna Steffens) spricht ihrem Mann John (Jörg Pose) verzweifelte Botschaften auf den Anrufbeantworter; sie ist mit dem Auto liegengeblieben und wünscht sich die Rettung durch ihn, der ihr langsam zu entgleiten droht. Als er nicht antwortet, lässt sie sich vom vorbeifahrenden, arbeitslosen, alkoholisierten Nick (Andreas Döhler) aufsammeln und gilt seitdem als verschwunden. Eine ihrer Patientinnen, Sarah (Susanne Wolff) berichtet währenddessen von ihren Nöten mit ihrem Ex-Freund Neil (Harald Baumgartner), dem sie einst die Ehe versprochen hat und der ihr jetzt unablässig nachstellt.

Nach der Pause, in der die Verwirrung über die Verzahnung der Geschichten und ihre Zusammenhänge zu Spekulationen anregte, offenbart in Teil 3 die noch zu erkennende Hotelhalle psychoanalytisch angehaucht die emotionalen Untergründe, auf denen die Beziehungskonstrukte basierten und die das Parkett sorgfältig versteckte. Die Mitte des Raumes wird jetzt von einem Wasser-Bassin ausgefüllt. John sitzt am vorderen Rand und wird vom ermittelnden Polizisten Leon über seine vermisste Gattin, seine Ehe und ihre letzten Telefonanrufe verhört. Langsam wird deutlich, dass seine früher leidenschaftliche Liebe zu ihr mittlerweile in Hass umgeschlagen ist und er ihren letzten Hilferuf per Telefon bewusst ignoriert hat. Es ist ihre Patientin Sarah, die bei ihr wegen Bindungsunfähigkeit in Behandlung ist, die ihn zum Absprung aus der unglücklichen Ehe bewegt und mit der er sich in das aufwühlende Bad der Gefühle begibt.

Kunstvoll vernetzt erscheinen die Lebensgeschichten dieser Beziehungs-Einzelparts. Immer neue Hinter- und Untergründe werden gründlich enttarnt. Kimmig findet intelligente Bilder für die Verstrickungen zwischen den Personen und lässt das Thalia-Ensemble mit einfühlsamer, detailgenauer und differenzierter Darstellung glänzen. Das Premieren-Publikum honorierte diesen niveauvollen, spannenden und tiefgründigen Theaterabend, der eigentlich nichts Besonderes sondern nur ganz normale zwischenmenschliche Abgründe zeigte, mit langanhaltendem Applaus.

Birgit Schmalmack vom 27.10.03