Rose Bernd


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Pragmatische Hoffnungslosigkeit

"Rose Bernd" steht mit hängenden Schultern auf der kahlen Holzrampe, die über die erste Stuhlreihe ins Thalia Theater ragt. Das Mädchen ist schon zu Beginn des gleichnamigen Stückes von Gerhard Hauptmann gezeichnet von ihrem Leben in der engen niederschlesischen Dorfgemeinschaft. Sie ist zwar jung, kräftig, gesund, fromm und hübsch, aber aus jeder ihrer Gesten spricht eine seltsame pragmatische Hoffnungslosigkeit. "Was kommen muss, das wird kommen," ist ihr Motto. Tatkräftig wird sie das tun, was getan werden muss und sich immer bewusst der engen Grenzen sein, die ihr gesetzt sind.

Katrin Wichmann zeigt glaubwürdig ihre zupackende Sturheit und ihre unterdrückte, an wenigen Stellen hervorbrechende Liebesbedürftigkeit. Ihr ist stets klar, dass ihr die Erfüllung eigentlich nicht zusteht. So akzeptiert sie auch die Strafen für ihre Affäre mit dem verheirateten Gutsherrn (Peter Moltzen) klaglos. Irritierend ist nur, dass dieser Mann, für den die zupackende Frau ihre sorgsam gehegte Unschuld hingibt, genauso widerlich ist wie alle anderen Männer. Bei jeder Begegnung fällt er von animalischen Trieben gesteuert wie ein Tier über Rose her. Während sie ihn küsst, reibt er nur derbe an ihren Geschlechtsteilen.

Regisseur Thalheimer zeigt auch die weiteren schamlosen Derbheiten des Dorfvolkes schonungslos. Arthur Stegmann (Felix Knopp) ist zufällig Zeuge des Seitensprunges geworden und fordert nun seine Beischlafrechte bei der eh Entehrten und vergewaltigt sie. Rose ist inzwischen dem schüchternen, frömmelnden August Keil (August Döhler) versprochen, der seinerseits seine Besitzansprüche gelten machen will. Kurzerhand beißt Arthur dem schwächlichen Verlobten ein Auge aus.

Die Dorfbewohner tragen Papiertüten auf den Köpfen, wenn sie sich dem Bühnenvierreck nähern. In der Maske der Masse dürfen sie jeglichen Gelüsten freien Lauf lassen. Laut verspotten und verhöhnen sie die schwanger gewordene Rose, die zum Abschuss freigegeben scheint. Am Ende erwürgt Rose ihr eigenes Kind. Sachlich nüchtern berichtet sie im weißen Kleid der unschuldigen Braut von ihrer Tat. "Ich bin verloren," stellt sie sachlich fest. In ihren Masken bewegen sich die Dorfbewohner wie eine bedrohliche Wand auf die Kindsmörderin zu.

Thalheimers Inszenierung hinterlässt einen tiefen Eindruck, fast wider Willen. Denn es liegt ihm kaum daran, Mitgefühl für die Personen auf der Bühne zu erzeugen; zu sehr sind sie zu Symbolen für gesellschaftliche Entwicklungen geworden. Trotzdem kann man sich der Wirkung seiner Inszenierung kaum entziehen. Gerade die Zwangsläufigkeit, die sie darstellt, und gerade die Unmenschlichkeit, die sie schonungslos offenbart, hat etwas so Deprimierendes, dass die Spannung dieses Stückes noch lange nach dem letzten Black des Theaterlichtes anhält. Härter und hoffnungsloser kann man das Leben unter Menschen kaum darstellen.

Birgit Schmalmack vom 17.3.06