Mordkomplex


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Die Party geht weiter

Großer Aufmacher in der Bild Zeitung: "Mutter erstach ihr Kind." Den Leser gruselts ein wenig..., dann blättert er weiter zur nächsten Klatschgeschichte über Boris Becker, zum nächsten barbusigen Model und zum nächsten Attentat im Irak.

Zu der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft gesellt sich der Gewaltakt als scheinbar (ver-)störendes Element. Die Gesellschaft reagiert auf den Mord mit Interesse, Erschrecken, Abscheu, Bestrafung oder Gleichgültigkeit. Das Individuum wird eventuell durch die gesellschaftlichen Umstände zum Mord getrieben und das Vorhandensein von Gewalt prägt wiederum die Stimmung in der Gesellschaft.

Auf vielschichtige, spannende und innovative Art lotet der Regisseur Branko Simic Aspekte dieses Dreiecksverhältnisses aus. Zwischen dem Häusermeer einer Metropole wohnen der Student (Jörg Kleemann), Marie (Franziska Olm) mit ihrem Mann Jugo (Mili Tomunic) und die Chefin (Anja Helden). Sie sind den drei literarischen Figuren Raskalnikov aus "Schuld und Sühne", Woyzeck und Marie aus Büchners Drama und Medea und Jason (Helmut Zhuber) aus der griechischen Mythologie nachempfunden und im heutigen Kiez einer Großstadt angesiedelt. Dass dies funktioniert, zeigt die Zeitlosigkeit von Gewalt als menschliche Reaktion.

Da ein Mord im Theater auf der Bühne immer künstlich bleiben muss, ist Simic konsequenter Weise noch einen Schritt weitergegangen und hat die Trickfilmkünstlerin Mariola Brillowska gebeten, die Gewalttaten in ihren surrealen Zeichnungen darzustellen. Sie werden ironisch überzeichnet und ermöglichen so eine Distanz zum Geschehen. Parallel dazu beleuchten die Schauspieler im heutigen Zusammenhang einige emotionale Hintergründe der Tat: Eifersucht, Rache oder Orientierungslosigkeit. Ganz im Sinne der schnelllebigen Bildzeitungsmentalität sorgt das Nebeneinander dabei für einige Schlaglichter.

Ein Live-DJ (Viktor Marek) und eine Sängerin (Marion Campell) sorgen mit ihrer wunderschön smoothigen, chilligen Musik dafür, dass währenddessen die Party weitergeht. Nie versiegt der Musikstrom und lässt die Morde möglichst schnell wieder in Vergessenheit geraten, damit das Geschäft mit dem Amusement weiter gehen kann.

Simic ist ein stimmungsvoller, dichter und interessanter Abend gelungen.

Birgit Schmalmack vom 15.10.04