Babel


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Übung für das Immunsystem

Nicht erst seit dem Irakkrieg haben die Menschen eine Flut von Bildern zu verkraften, die sie mit Perversitäten, Grausamkeiten und Gewalt überschüttet. Deshalb sehen die Zuschauer in der Inszenierung von Jelineks "Babel" durch Nikolas Stemann erst einmal nichts. Minutenlang blicken sie auf den geschlossenen Vorhang und lauschen nur einer Stimme vom Tonband, die von Bildern erzählt. Dennoch entstehen sie alle mühelos vor dem geistigen Auge. Denn die erwähnten Folterszenen aus Abu Ghraib sind allen wohl bekannt.

In die Familie "Jelinek" wird mit einem Soap-Jingels umgeschaltet. Doch was danach folgt, ist alles andere als eine weitere Folge aus der Lindenstraße. Doch ob die drei Söhne sich nur mit einer Palästinensertuch bekleidet die Freuden des Märtyrertodes ausmalen oder sie mit den Töchtern blutüberströmt die Folterszenen des Irakkrieges nachspielen, immer schafft es Stemann einen Hauch von ironischer Distanz zu wahren, die das weitere Zuschauen überhaupt erst ermöglicht. So wird klar, was Jelinek wohl antrieb diesen schockierenden Text zu schreiben. Myriam Schröder schreit es hinaus: "Warum hat dieser Krieg begonnen?" Dass Jelinek dabei Pornographie, Sexualität, Gewalt und Krieg miteinander zu einem harten Brei verrührt, ist wie immer eklatant übertrieben, kann aber durch die Realität nicht ganz abgeleugnet werden.

Dies war harte Kost, genau wie der Sprecher sie angekündigt hatte. Viele Zuschauer im Thalia Theater war es zu viel; sie gingen während der Vorstellung. Anscheinend wollte Jelinek selbst abgebrühte Internetsurver und Fernsehbilderjunkies noch aufrütteln. Denn ihr ginge es um die Moral, verkündigte sie. Die wollte sie in den Mittelpunkt stellen. Wo war sie unter all der Lärm, dem Blut und der Pornographie? Man konnte es nur ahnen: Sie war derweil entschwunden.

Birgit Schmalmack vom 5.6.06