Anarchie der Papageien

Der Irrgang (mit hauseigener Führung) durch die Innereien des Schauspielhauses bis ins 3. Obergeschoss führt zu einer Probe eines Stückes mit der inhaltsschweren Aussage, die auch für dessen Titel und Titelbild herhalten soll: "Ich bin ein Stück Scheiße". Diese hintersinnige Bemerkung soll der Hauptdarsteller Thomas (Thomas Kügel) verkörpern. Hilfreich zur Seite steht ihm dabei Sabine (Sabine Orleans) als seine mit allen psychologischen Tricks arbeitende Regisseurin. Doch ihre Möglichkeiten scheinen ausgereizt, als der Autor (Jörg Ratjen) höchstpersönlich die Probe mit seiner Anwesenheit beehrt. All die einfühlsamen Interpretationsversuche der Beiden werden mit einem Schlage zunichte gemacht. Jede tiefgründige Auslegung des mageren Textes ist für den Schriftsteller höchst überflüssig. Getreu des Mottos "ein Stuhl ist ein Stuhl" ist ein Stück Scheiße nichts weiter als ein Stück Scheiße. Und für diese Rolle kann er sich keine bessere Besetzung als eben den Kügel vorstellen. Nachdem dieser die Unverschämtheit begangen hat, ihn öffentlich in der Kantine des Schauspielhauses als inhaltsleeren Papierschaffenden abqualifiziert zu haben, wird er jetzt zur Zielscheibe der Rachegelüste des tief getroffenen, ach so empfindsamen Autors.

Der Titelheld, dem in seiner Laufbahn noch nie eine Hauptrolle zugedacht wurde, ist geschmeichelt durch die große Aufgabe. Sie wird nur noch umso größer, als der Text nicht eben einfach über die Lippen des Sprechers kommt. Mit ihm soll er sich identifizieren, sich in ihn hineinfühlen. Kügel ist in seiner Rolle als unsicherer, zart besaiteter und sowohl in seiner beruflichen wie auch in seiner menschlichen Ehre herausgeforderter Schauspieler sehr überzeugend. Er wächst an seiner Aufgabe im Laufe der Probenzeit und plant die stille Revolution von unten.

Sabine Orleans spielt die meist verständnisvolle, manchmal resolute und dann doch einlenkende Beraterin an Kügels Seite. Sie sitzt zwischen den Stühlen; will einerseits dem Werk zu seiner wahrhaften Aussage verhelfen und andererseits dem Schauspieler nicht zu nahe treten, um ihm seine Würde zu belassen. Ein unmöglich zu vereinbarendes Unterfangen, wie ihr Ratjen als der Autor auf unangenehmste Art begreiflich macht. Er spielt ihn in verzerrter Kinski-Manier als engagierten Fiesling.

So läuft er also, der Theaterbetrieb. Als hätte man es nicht schon immer geahnt oder befürchtet. Auch hier in diesem hehren Musentempel nur ein Ränkespiel der Intrigen, Rachegelüste und Machtgebahren. Fast wie im richtigen Leben! Doch kann diese Aussage des Autors Andreas Marber des textreicheren Stückes tatsächlich eine ebenso platte Botschaft haben wie das textarme von Jörg Ratjen? Viel zu banal! So bleibt dem Zuschauer eine leise Hoffnung auf ein wenig mehr Hintersinn der Theaterkultur, und er wird wohl weiterhin in seine Musentempel in der Erwartung wandern, tiefschürfendere Erkenntnisse über das Leben zu gewinnen als an diesem Abend.

Kritik von Birgit Schmalmack vom 4.5.01