Inferno


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Schwergewichtiges Bilderinferno

Geht man in ein Musiktheaterstück im Thalia Theater, muss man unweigerlich an die legendären Robert Wilson-Aufführungen denken. Doch wecken diese Erinnerungen nicht falsche Erwartungen? Schließlich geht es in Pandurs "Inferno" um wesentlich ab- und tiefgründigere Themen als in Wilsons Inszenierungen. Hier geht um die Tiefen menschlichen Daseins sowohl während ihres Lebens als auch nach ihrem Ableben. Alle Scheußlichkeiten, die sich Menschen gegenseitig antun können, werden in dieser Umsetzung von Dantes "Göttliche Kömödie" angesprochen. Das spricht nicht für einen Abend nach der phantasievoll-leichten Wilson-Art. Nein, leicht ist in diese Inszenierung nichts.

Das Bühnenbild von Marina Hellmann sperrt die Lebenden und die Toten in einem dreigeschossigen Wellblechtrichter ein, der auf Stelzen ins Wasser gebaut ist. So kehren sie zu dem Medium zurück, aus dem sie einst entstanden sind. Dass das ihre Lage nicht angenehmer macht, ist deutlich. Damit die Schauspieler nicht ebensfalls leiden müssen, wird das Wasser des bühnengroßens Bassins angewärmt. Aber auch so verlangt dieses Stück ihnen etliches ab. Akrobatische Turnereien und sängerische Aktivitäten in meist fast unbekleideten Zustand, Beschmierungen in Farben von weiß, schwarz oder rot, Umherschleifen triefenden Lederklamotten; und das alles in einem ständig nassen Zustand.

Auf immer neue Art und Weise wird mit eindrucksvollen Bildern die bedauerliche Lage dieser Untoten dargestellt. Der textliche Aspekt, der von Dante (Thomas Schmauser) und Vergil (Dietmar König) auf ihrer Reise durch diese Höllenkreise übernommen wird, wird dabei zur Nebensache. Winden sich die Menschen in immer neuen Qualen, ist das so beeindruckend und erschütternd, dass die beiden in ihrem Bemühen, ihre Textpassagen tapfer herüberzubringen, in dem bombastischen Geschehen untergehen müssen. Pandur hat ungeheuerliche Bilder erfunden, die stark berühren können. Die Musik, die Goran Bregovic dazu geschrieben hat, unterstützt diese Wirkung mit ihren sakralen, folkloristischen und klassischen Motiven.

Doch Pandur hat mit schwerer Hand inszeniert, inhaltsschwer, pathetisch, absichtsvoll und überbordend vor Schmerz und Trauer kommt seine Aussage herüber. Es gibt keinen Moment der ironischen Distanz, des Aufblitzens von einem Hauch Humor, der bei Wilson auch schwächere Produktionen immmer noch so sehenswert machte.

Es gab keinen Moment? Als wenn es Pandur zum Ende hin geahnt hätte, dass dieser Abend zu schwergewichtig daherkommt, hat er zum Schluß Elisabeth Schwarz als Kriegsberichterstatterin durchs Wassser zu den Zuschauern waten lassen und im Stil der neuen Zeit von eben gesehenen Ereignissen berichten lassen. Doch dieser Moment der distanzierteren Betrachtung wirkt leider nur unpassend und fast peinlich. Hier hätte Pandur dann doch den Mut haben sollen, der schwergewichtigen Bildersprache seines Kunstwerkes ganz zu vertrauen und sie für sich sprechen zu lassen. Sie braucht eines bestimmt nicht: eine kleinliche Übertragung in die eventorientierte TV-Sprache von RTL und Sat 1.

Kritik von Birgit Schmalmack vom 27.01.01