Medea


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Ertrinkende

Einst war ihnen kein Risiko zu groß um zueinander zu kommen. Medea (Ute Hannig) verließ für Jason ihr Elternhaus, ihr Land und ihre Kultur. Jason stieß (Philipp Otto) für sie ihren Bruder ins Wasser und tötete ihren Vater. Doch mittlerweile ist ihre Ehe in die Jahre gekommen. Zu schwer belastet sie der ständige Kampf gegen die Ablehnung der Umgebung, die ihre unkonventionelle Verbindung verachtet. Jason träumt nun eher von einer Liebe, die mit dem Segen der Eltern und der Gesellschaft geschlossen ist. Er ist des Kämpfens für ihre Beziehung müde. Medea dagegen hat keine Wahl. Denn sie ist die Fremde und wird es bleiben. Die einfache Lebensvariante ist ihr auf immer versperrt. Als die Königstochter (Marie Leuenberg) Jason Avancen macht, sieht er für sich eine Möglichkeit sich auf die sichere Seite abzuseilen und will sich seiner belastenden Ehefrau entledigen.

In einem letzten Aufbäumen versucht Medea ihre Ehe zu retten: In der Inszenierung von Karin Henkel am Schauspielhaus dokumentiert sie ihren Willen, sich als "wilde Kolcherin" an die hochstehende Kultur der Griechen anzupassen, indem sie versucht das hier übliche Akkordeonspielen zu erlernen. Mühsam verrenkt sie sich die Finger auf dem sperrigen Instrument. Sie geht sogar auf die Spielchen des Königs (Marco Albrecht) und seiner Tochter ein. Sie springt für sie wie ein Schimpanse auf dem Boden herum und macht sich damit zum Affen. Eine äußerst erniedrigende Situation für die ehemalige Königstochter.

Ihr Mann schaut dabei tatenlos zu. Er beugt sich der Macht des Herrschers und schweigt still. Jason wird ihr nicht beistehen - das ist nun klar. Doch Medea ist keine, die sich still in die Ecke setzt und ihr Schicksal bedauert. Sie ist eine, die handelt. So sinnt sie auf Rache, die sie in die Situation bringen wird, ihre Macht wieder selbst zu spüren und sie auch die anderen spüren zu lassen. Sie ermordet die Braut und tötet ihre eigenen Söhne, um Jason zu zerstören.

Ute Hannig brilliert in der Rolle der Medea. Sie zeigt eine kampfesmutige, starke und stolze Frau, die ihre Demütigung in stringente Rache verwandelt. Genau spürt Regisseurin Henkel den psychologischen Beweggründen zu dieser extremen Tat einer Mutter nach. Sie wählte dafür hauptsächlich den Text von Grillparzer, der den Fokus auf die Entwicklungsgeschichte dieser Frau legt, die als die "Andere" verstanden wird. Sie erweist sich als gelehrige Schülerin. Am Schluss nimmt sie sich mit trotzigem Stolz vor: "Ich bin anders und die ganze Welt soll davon erfahren!"

Henkel lässt zwei kleine Jungen als Söhne mit auf der Bühne agieren. Sie sind es auch, die in locker leichten Art von den Abenteuern ihrer Eltern berichten und so einen langatmigen Prolog auf kurzweilige Art ersetzen. Sie machen aber gleichzeitig deutlich, dass Medeas Tat kein Gedankenexperiment ist, sondern dass sie leibhaftige Menschen ermordet.

Vor ihrer Tat schreitet Medea wie ein Tier in ihrem Käfig immer wieder den abgeschlossenen, betonfarbenen Bühnenkasten ab. Er könnte ein abgewrackter Dampfer sein, der Leck geschlagen hat. Denn er hat eine Bodenplatte, über die im schräg gestellten Zustand Wasser rauscht und in eine Rinne vor der ersten Zuschauerreihe fließt. Nach Medeas Tat ist dieses Wasser blutrot.

Eine eindringliche Inszenierung, die nach ihrer intensiven, dreistündigen Dauer vom Publikum mit viel Beifall bedacht wurde.

Birgit Schmalmack vom 15.6.06