Eingeschlossene Gefühle

Um einen Übergang von Drinnen nach Draußen zu schaffen, um wieder etwas von ihren inneren Gefühlen nach draußen zu lassen, braucht Fritzi ihr Stanley-Messer. Mit den Ritzen, die es auf ihrem Armen hinterlässt, hofft sie die Gefühle wieder zu öffnen zu können, die ihr als Vierzehnjährige schon abhanden gekommen sind. Bei den zahlreichen Erfahrungen, über sie schon verfügt, erscheint verständlich, dass sie sich einen dicken Schutzpanzer zulegen musste. Ihr Freund Michi, mit dem sie in den Süden verschwinden wollte, sitzt in Untersuchungshaft. Wohlwissend dass er HIV-positiv ist, hat er nicht nur mit ihr geschlafen, ohne sich um Vorsichtsmaßnahmen zu kümmern. Wegen mehrerer erlittener Vergewaltigungen musste Fritzi schon vor Gericht aussagen. Die Richter zweifelten jedoch stets an ihrer Glaubwürdigkeit und die Täter gingen straffrei aus. Abgestumpft sucht sie im Internet nach risikoloseren Kontakten, die den Männern jedoch in der Anonymität nur noch perversere Töne entlocken. Ihren erhofften Trost findet sie nicht.

In souveräner Balance spielt Gloria Brillowska das junge Mädchen. Selbst erst sechzehn Jahre alt, findet sie einen unterkühlten, herben, zurückgenommenen Ton für die frühe Abgeklärtheit von Fritzi. Geschickt hat der Regisseur Branko Simic mit einem quadratischen Bühnenpodest vor ebenso großer Videoleinwand, einer Webcam, einem Laptop und ausdrucksstarker Musik von Gorillaz, No means No und Nirvana einen passenden, unaufgeregten Rahmen für die Geschichte "Ritzen" von Walter Kohl gefunden. Ohne Lösungen und allzu schnelle Erklärungen anzubieten, gibt er dem Mädchen Raum für ihre Sicht auf ihr Leben.

Birgit Schmalmack vom 16.11.02