Terrorakte treffen den Menschen ohne Vorwarnung und reißen ihn aus seinem gewohnten, als stabil angenommenen Leben. Die Sicherheit, die als beständige Grundlage vorhanden war, ist in völlig Frage gestellt. Die Choreographin Angela Liong der "The Arts Fission Company" aus Singapur erzählt davon, dass in solchen beunruhigenden Situationen die Menschen schnell wieder zu Alltagsbeschäftigungen zurückkehren, um eine Bestätigung durch das Gewohnte zu finden. Im Putzen, Wäsche-Waschen und Staubsaugen wird die Sicherheit und die Sinnhaftigkeit des Bekannten kurzfristig gesucht. Allzu viel Anderes ist zu hinterfragen und neu zu durchdenken.
Von diesen Gefühlen der Verunsicherung handelt ihr Stück "Shadowhouses", das am Donnerstag auf Kampnagel seine Europapremiere feierte und das Festival "Laokoon" eröffnete. Hin und her gerissen zwischen Tradition und Moderne bewegen sich die fünf Frauen und zwei Männer zwischen den Schattenrissen eines zerborstenen Hauses aus weißem Papier. Die männlichen javanesischen Tänzer stehen für die traditionelle, klassische Tanzkunst, die weiblichen Tänzerinnen für einen großstädtisch geprägten Lebensstil. Das Männerduett verbindet feminin wirkende verschnörkelte, runde Bewegungen mit Kampfesriten, die den Streit zwischen Gut und Böse symbolisieren. Die Tänzerinnen zeigen in ihren Gruppenformationen sowohl den Zusammen-, wie den Hinterhalt, den Menschen sich bieten können. Die Anonymität und Geschäftigkeit einer Großstadt wird ebenso dargestellt wie das Ausleben von Gefühlen und Weiblichkeit.
Angekündet als ein Werk, das die Schrecken nach dem 11.9. aufgreifen sollte, erzählt die "Shadowhouses" auch von den scheinbar unüberbrückbaren Widersprüchen im Leben von Menschen, für die sie auch jenseits von Terrorakten Erklärungen finden wollen. Männlichkeit - Weiblichkeit, Tradition -Moderne, Vernunft - Gefühl, Verhandeln - Gewalt sind Gegensatzpaare, die in Gesellschaften stets aufs Neue für mühsame Standortbestimmungen sorgen. Zerstörerische Akte von außen machen die einmal gefundenen Schutzräume so unsicher wie ein Haus aus Papier.
Birgit Schmalmack vom 1.9.03
Welt vom 30.08.03
Mopo| 30.08.2003
Schwere Kost zur Eröffnung des »Laokoon«-Festivals