Große Freiheit


Kritik von
Abendblatt

Home

Schluss mit Sehnsucht! Drei Schwestern

Was ist dein Moskau?

Frauen sollen sitzen und abwarten, bis ein Mann sie endlich an das Ziel ihrer Träume bringt?? Doch nicht mehr im 21 Jahrhundert! Jetzt soll endlich Schluss sein mit der unerfüllten Sehnsucht. Bei Carola Unser warten die "Drei Schwestern" aus Tschechows Stück nicht, bis sie jemand endlich nach Moskau bringt. Nein, sie nehmen kurzerhand ein paar Kleider und Schuhe und brechen zu ihrem Sehnsuchtsort auf. Um wenig später enttäuscht wieder zurück zu kehren zu ihrem 100 Seelen-Ort, den sie gerade verlassen haben. Denn sie haben erkannt: Die Fantasie, die sich von Moskau gemacht haben, entspricht leider nicht der Realität.

Sie ziehen unterschiedliche Schlüsse daraus: Olga, die älteste der Schwestern, versucht sich in politischem Engagement. Die Jüngste (Saskia Boden) probiert sich als Gangsterboy aus, der als Hip-Hopper auf dicke Hose macht. Die Mittlere (Lisa Grosche) will eine ganz neue Lebensform ausprobieren: Ein Leben mit zwei Männern. Die Einschränkung auf die dienende weibliche Rolle gehört entgültig der Vergangenheit an.

Unser stellt in lockerer, schmissiger Szenenfolge mit schnellen Schnitten verschiedene mögliche Weiterentwicklungen der Ausgangskonstellation von Tschechow vor. Sie liefert dabei spannende Gedankenansätze. Ihre Inszenierung lebt von der mitreißender Energie ihrer Schauspieler. Besonders die drei Frauen sind in ihren drei unterschiedlichen Persönlichkeiten so prägnant besetzt, dass man der Diplomarbeit manch inhaltlichen Bruch verzeiht. Herausragend ist die Bühnenpräsenz der Schauspielerin Solveig Krebs, die mit ihrer Interpretation der Olga und dem Abend Tiefgang verleiht.

Birgit Schmalmack vom 1.4.09

Große Sprünge

www.hamburgtheater.de

Lebenserfahrung sicher verstaut

"Das Schöne daran dass ich mit dem Rauchen aufgehört habe ist, dass ich jetzt mir ohne Zwang hin und wieder eine anstecken kann."

Es geht um die kleine und großen Abschiede, Verluste und Neuanfänge im Leben. Das Vergangene wird in den vielen Holzkisten verstaut, die überall auf der Bühne der K2 auf Kampnagel herumstehen und zudem als Sitzmöglichkeit genutzt werden können. Soll man die Vergangenheit nun rigoros entsorgen oder lieber als lebenswichtige Erfahrung aufbewahren?

Wann ist der geeignete Zeitpunkt zum Aufkündigen einer Beziehung? Wann verabschiedet sich die Liebe auf Dauer? Bei zuviel oder zuwenig Wahrheit zwischen den Partnern? Kann man etwas Schönes nur festhalten, indem man es loslässt? Viele Fragen werden aufgeworfen, angeschnitten und stehen gelassen.

In einzelnen Stehgreifsituationen beleuchten die sieben Darsteller das Thema der Weggabelungen, in denen das Leben eine ganz neue Wendung nehmen kann. Große und kleine Träume werden zum Thema der improvisierten Szenen. So wie drei der Darsteller zum Schluss in den Seilen von der Bühnedecke baumeln, mag die viel gepriesene Entscheidungsfreiheit der Menschen allerdings bloß noch wie eine Illusion erscheinen.

Das engagierte und dennoch unaufgeregte Agieren der Schauspieler, die sich souverän zwischen den Kisten bewegen, machte einen großen Teil des Reizes von "Große Sprünge" aus. Alexander Krebs hat eine anregende, darstellerisch und inhaltlich interessante Arbeit als Diplomabschluss seines Studiums an der Theaterakademie vorgelegt.

Birgit Schmalmack vom 14.3.08