Die Frau vom Meer


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Freiheit zur Wahl

Der erste Auftritt der "Frau vom Meer" erfolgt unter einem dieser Frotteeüberhänge, die in den Siebzigern dem schamhaften Umkleiden am Strand in Mode kamen. Unter dieser Wanderumkleidekabine versucht sie aus ihrem nassen Badeanzug in die Sporthose und das T-Shirt zu schlüpfen. Elida kommt gerade vom ihrer Lieblingsbeschäftigung: vom Schwimmen. Doch es ist für sie nur Ersatzbefriedigung geblieben, denn sie musste das viel zu warme Fjordwasser gegen ihr geliebtes offenes Meer eintauschen, als sie Dr. Wrangel (Otto Kukla) heiratete. Seitdem trägt sie eine Sehnsucht in sich, die sie fortzieht von ihrem braven Doktor und seinen zwei Töchtern aus der ersten Ehe, mit denen sie nie eine herzliche Verbindung aufbauen konnten. Sie blieb stets eine Fremde. Eine frühere, mysteriöse Verlobung mit einem amerikanischen, seither verschwundenen Seemann, gibt ihren Träumen, die sie in die Ferne ziehen, noch weitere Nahrung. Ihr Ehemann versucht sein Möglichstes, um seine Frau zu verstehen. Sie macht es ihm nicht leicht, weil sie sich mitunter trotzig wie ein Kind in ihre eigene Welt zurückzieht, dann sich hilfesuchend an ihm klammert, um darauf wieder selbstbewusst ihren eigenen Willen durchzusetzen. Doch er hat sie für sich ausgewählt, weil er in ihr eine Möglichkeit findet seine nicht gelebten Träume zu kompensieren. Seine Gefühle für seine verstorbene erste Frau, die er sehr liebte, hält er fest verschlossen.

Als der amerikanische Seemann zurückkehrt, um Elida mit sich fort zu nehmen, brechen die lange verschwiegenen Gefühle auf. Elida ist hilflos ihrem sich wiedersprechenden Emotionen ausgeliefert. Sie wünscht sich auf das weite Meer mit dem Seemann hinaus. Jedoch fürchtet sie den unbekannten Fremden, der sie so magisch anzieht. Gleichzeitig schätzt sie ihren verlässlichen Ehemann.

In dieser Situation der Zerrissenheit fordert sie ihr Recht auf eine freie Entscheidung. Sie will eine Wahl haben und sich nicht wie seit ihres Lebens dem Willen der Männer beugen. Ihr Ehemann fürchtet ihre Entscheidung gegen ihn und für den Fremden. Um sie vor sich selbst zu schützen, will er sie festhalten. Doch Marion Breckwoldt als Elida besitzt Überzeugungskräfte, die man einem flatterhaften Wesen, als das diese Frauenfigur sonst häufig gesehen wurde, kaum zutraute. Dr. Wrangel gibt sich geschlagen und seine Frau frei. Elida kann ihre eigene Entscheidung treffen. Sie kann die Argumente ohne äußeren Druck abwägen. Sie entscheidet sich zu bleiben. Das erwiesene Verständnis ihres Mannes erscheint mehr wert als die nebelhaften Jungmädchenträume.

Regisseurin Jaqueline Kornmüller arbeitet in ihrer Inszenierung im Schauspielhaus zur Spielzeiteröffnung sehr genau die psychologischen Linien der einzelnen Figuren heraus. Auch jeder Rolle neben den beiden Hauptpersonen widmet sie sich fein analysierend. Die Lebenswünsche der Töchter werden genauso unter die Lupe genommen wie die der sie umwerbenden Männer. Die leere, meist nebelverhangene Bühne, deren klappbare Bodenplatten zu einem Berg, zu einem Bootssteg oder zu einem See werden können, verstehen die Schauspieler (Ute Hannig, Klaus Rodewald, Monique Schwitter, Felix Kramer und Achim Buch) mit ihrem ausdruckstarken Spiel zu füllen.

Birgit Schmalmack vom 5.10.05