Eingebildete Kranke


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Molière stellt Fallen

Kaum ein Bühnenschriftsteller stellt für Regisseure eine so große Versuchung dar dem Klamauk anheim zu fallen wie Molière. Seine Texte bieten ebenso viele Anregungen zum doppelbündigen Hinterfragen wie zu schnellen, flachen Lacherfolgen. Vor nicht allzu langer Zeit konnte am selben Ort ein anderer Regisseur (Jürgen Flimm) vorführen, wie man der Versuchung Molières entkommt und welch feinsinnige Gesellschaftskritik in seinen Texten stecken kann, als er den "Geizigen" in Szene setzte.

Leander Haussmann hat für seine Inszenierung des "Eingebildeten Kranken" im Thalia Theater seinen Vater Edzard Haussmann dazu gewinnen können, sich der Lächerlichkeit für lacher zu sorgen. In braunen Strumpfhosen mit Windelpaket unter dem weiten Rockhemdchen rollt er mit seinem Toilettenstuhl über die Bühne. Dieser Schauspieler rührt - aber mehr mit der Peinlichkeit der Klamotten, die er geben soll, als durch das Mitleid mit seiner krankhaft übersteigerten Einbildungskraft als einziges Mittel um Liebe zu erhalten. Doch auch Schauspieler wie Hildegard Schmahl, Dietmar König, Silvia Schwartz und Hartmut Schorries müssen aus ihren Rollen jede Ernsthaftigkeit herausspielen und sie auf Boulevardniveau herunterschrauben.

Modernisieren wollte Haussmann den Text und dachte, mit Wörter wie "Pflegeversicherung, behindertengerecht, homosexuell usw." und Halbsätzen wie "Ach, neee wirklich" oder "Da steh ich gar nicht drauf" bekäme das Stück den heutigen Drive. Wenn aber gleichzeitig jeder Inhalt weggespaßt wird, bleibt leider nur eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger amüsanten Witzen übrig.

Neben all den gewollt witzigen Einfällen (grüner Slimy im Gesicht, Tischtennisbälle in den Backen, Urin als Cocktail, ständiges lautstarkes Sicherleichtern, überzogenes affektiertes Gestöhne, Gelächter, Geleide) muss das Bühnenbild (Momme Röhrbein) als herausragender Kontrapunkt erwähnt werden: Die dunkle, hölzerne, hoch aufragende Bretterkiste mit ausklapp- und -fahrbare Vertäfelung, hinter der sich Spiegel, Waschbecken, Musiktruhe und Keybord verbergen, hätte Raum für eine ihr würdigere, abgründigere Umsetzung geboten.

Birgit Schmalmack vom 3.12.01