Mach die Augen und Fliege oder Krieg böse 5


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Ständige Verunsicherung

"Komm mit mir ins Abenteuerland", fordert die Deutsch-Pop-Gruppe "Pur" die Zuschauer im Thalia in der Gaußstraße verharmlosend auf. Das erweist sich im späteren Verlauf des Abends als ironisch zu verstehende Einladung. Denn Autor Fritz Kater hält eher grauenvolle Abenteuer bereit.

Er hatte mit der Tänzerin Pernille Sonne die brasilianische Hauptstadt Sao Paulo besucht. Da die dänische Performerin durch eine fortschreitende Netzhauterkrankung blind geworden ist, muss sie die neue fremde Umgebung ohne den Hauptsinn verarbeiten. Kater fühlte sich in diesem permanenten Zustand der Verunsicherung an Kriegzeiten erinnert, in der auch alle gewohnten Sicherheiten in Frage gestellt sind und jederzeit wegbrechen können.

In dem Theaterstück "Mach die Augen und Fliege oder Krieg böse 5" verarbeiten beide diese Erfahrungen und Überlegungen. Katers Alter Ego, sein Lieblings-Regisseur Armin Petras, arrangiert dazu eine Collage aus Kriegsberichten aus verschiedenen Zeitaltern und Ländern . Pernille Sonne ergänzt sie mit Briefpassagen, die in Sao Paulo entstanden. Zusammen mit der sehenden Tänzerin Lara Kugelmann setzt sie ihre Gefühle der Abhängigkeit von anderen und des Hin- und Hergestoßenseins in tänzerische Bewegungen um. Die brutalen Kriegserlebnisse des einfachen Soldaten "Simplicissimus" von Grimmelshausen aus dem dreißigjährigen Krieg, Konflikte auf Papua Neuguinea, der Racheakt aus den "Trachinierinnen" von Sophokles und die Judenvernichtungen im KZ Auschwitz bilden das Handlungsgerüst, von dem die beiden Schauspieler Peter Moltzen und Andrej Kaminski auf der weitgehend leeren Bühne beim Gastspiel im Thalia in der Gaußstraße berichten.

Ein verstörender, irritierender Theaterabend, der in seiner gewagten, nicht immer überzeugender Gedankenverknüpfung eine Ansammlung an Eindrücken hinterlässt. Eventuell charakterisieren sie genau die Überfülle und Überforderung, die Pernille Sonne in dem Vorfilm des Theaterabends "Pernille Sonne reist nach Brasilien" beschreibt - in einem Land, in dem sie neben den Augen auch auf die gemeinsame Sprache verzichten musste.

Birgit Schmalmack vom 2.10.04