Edward II


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Viel But, viel Eis, wenig Menschen

Ein Zuschauer machte während der Premiere von "Edward II" seiner Empörung Luft, als sein Maß an Unappetitlichkeiten überstiegen wurde: "Bleibt uns denn nichts erspart?" Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich schon literweise Theaterblut, das praktischer Weise gleich in Eimern auf die Bühne getragen wurde, Extremente auf kirchlichen Würdenträgern und urinierende Damen auf der Bühne anschauen müssen.

Martin Kusej erspart seinen Zuschauern wenig, denn seine Textvorlage von Marlowe tut das auch nicht. König Edward (Werner Wölbern) verliert jedes Interesse an seinen Regierungsgeschäften und seiner französischen Ehefrau, als er seinen Geliebten Gaveston (Peter Jordan) nach dem Tod seines Vaters aus der Verbannung in sein Reich zurückholen kann. Er will sich fortan in Liebesfreuden ergehen und fühlt sich durch die rein machtpolitischen Interessen seiner Peers gestört. Sie lassen den Störenfried Gaveston beseitigen und versuchen den König zu stürzen. Krieg bricht aus. Nachdem das Kriegspersonal auf allen Seiten dahingemetzelt worden ist, nutzt die Queen (Judith Rosmair) ihre letzten Einflussmöglichkeiten und lässt ihren untreuen Gatten verhaften und ermorden.

Das Bühnenbild von Olaf Altmann ist genial einfach. Zwischen zwei beweglichen, rostig erscheinenden Wänden werden die Spielflächen immer neu definiert. Im ersten Drittel fällt vor jeden Neuanordnung der Wände ein schwarzer Vorhang, im zweiten rotieren sie entsprechend des tumultartigen Kriegsgeschehens unablässig und in der letzten Szene begrenzen sie den Eisraum statisch. Christopher Marlowe schickt Edward kurz vor seinem Ableben als Gefangener in eine Latrine, Martin Kusej dagegen in eine unschuldig weiße, festgefrorene Eiswüste und erspart so dem mitgenommenen Zuschauer weitere sichtbare Scheußlichkeiten. Doch die menschenähnlichen Gestalten, die dort in weißen Kostümen herumstehen sind zu Eissäulen erstarrt und zu keiner Gefühlsregung mehr fähig. Allein Edward bekommt noch das Zittern angesichts seiner erbärmlichen, ausweglosen Lage. Doch Kusej lässt den rechtmäßigen, jungen Thronnachfolger statt seines Vaters umbringen. Der unfähige Edward muss weiter regieren. Kusej zeigt so, wohin diese Perspektivlosigkeit führt: zu einer statischen Endlosschleife der Willkür, der Machtgier und der Gewalt.

Kusej setzt das Drama der ideenlosen Leere in Regierungsetagen drastisch, fast dokumentarisch betrachtend um. Distanziert zeigt er in scharfen Schnitten das rohe Walten von Machtinteressen und Gewalt. Keine der Menschen auf der Bühne erwecken noch Mitleid oder gar Sympathie. Wölbern ist ein kindlich-verantwortungsloser Monarch, Judith Rosmair eine schön-leidende, rachlüsterne Dame auf Stöckelschuhen und mit Perlenketten behängt, Norman Hacker (Mortimer) ein berechnend-kalter Machtmensch und Peter Jordan ein herumgeschubster Günstling, dem man eine selbstlose Liebe kaum zutrauen mag. Eimerweise Blut wird auf der Bühne und auf den Schauspielern verschüttet, doch diese Menschen wirken blutleer und jeder Menschlichkeit beraubt. Diese Zombies sind das wirklich Unerträgliche dieses Abends, die die Macht in den Händen halten und behalten werden, in der ein oder anderen Gestalt.

Birgit Schmalmack vom 29.10.01