Der kaukasische Kreidekreis


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Brecht als Bilderreigen

Wer ist die rechtmäßige Mutter? Die Dienstmagd Grusche hat den kleinen Michel huckepack genommen und läuft und läuft. Sie flieht mit ihm vor den blutigen Unruhen und rettet ihn damit vor dem sicheren Tod. Seine leibliche Mutter hat ihn schlichtweg in der Kleiderkammer vergessen. Ihre kostbaren Gewänder waren ihr wichtiger. Nach dem Ende der Kriegswirren verlangt sie nun ihren Sohn und Erben zurück. Der Fall gelangt vor den volksnahen Richter Adzak.

Er lässt einen Kreis wird in die Luft zeichnen und das Kind hinein stellen. Jede der beiden Frauen soll einen seiner Arme festhalten und durch ihre Zugkräftigkeit beweisen, dass sie die rechtmäßige Mutter ist. Grusche kann es nicht übers Herz bringen ihrem Kind Schaden zu zufügen und lässt instinktiv los. Adzak hat einen seiner wenigen lichten Momente und erkennt, dass nur eine liebende Mutter so fühlen kann. Grusche darf das Kind behalten.

Diese bekannte Parabel hat Brecht als Grundlage für seinen "Kaukasischen Kreidekreis" genommen, der jetzt in der Inszenierung von Jacqueline Kornmüller am Schauspielhaus in Hamburg gezeigt wurde. Es ist eine Wiederaufnahme aus Stuttgart von vor zwei Jahren. Kornmüller versucht auf der leeren schwarzen Bühne einen poetischen Bilderreigen zu entfachen. Mit einfachen Mitteln - mit Regenschirmen, Wäscheständern, Holzlatten, Stuhlreihen, Stofffetzen- und mit vielen Darstellern erzählt sie die Geschichte um Grusche und ihren Michel. Sie tut das mit einer großen Lust an Ausschweifung und Ausschmückung. Zahlreiche Nebenfiguren bevölkern mit ihren Späßen und Geschichtchen die Bühne über drei Stunden lang. Die schmeichelnde Musik von Uli Bühl am Keybord und des Sängers und Erzählers Peter Wolf legen einen sanft tragenden Unterton unter die Erzählung. Die bissige Schärfe des Komponisten Paul Dessau wird auf diese Weise weichgespült.

Wer diese Spielfreudigkeit und Einfallsreichtum zu schätzen weiß, kann sich nach Herzenslust an diesem Bilderbogen der Fantasie erfreuen. Wer allerdings die Sprache, Bissigkeit und Logik des Brechttextes in all seiner Klarheit wieder erkennen möchte, wird in dieser Inszenierung enttäuscht werden. Die schauspielerischen Leistungen von Peter Wolf und Katja Danowski können auch letztere anerkennen; mag auch noch so viel um sie herum geschehen, vermögen sie dennoch mit ihrem eindrucksvollen Spiel ihren Figuren Charakter und Seele zu geben.

Birgit Schmalmack vom 2.1.06