Eines langen Tages...



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Unheilvolles Beziehungsgeflecht

In dieser Familie braucht man sehr viel Toleranz, meint Sohn Edmund. Das eingefrorene lieb lächelnde Fotomotiv der trauten Familie, das Regisseur Thalheimer an den Anfang seiner Inszenierung von "Eines langen Tages Reise in die Nacht" stellt, bliebt eine Wunschvorstellung. Jedes der vier Mitglieder versucht zwar dem Bild zu entsprechen, bliebt aber so gefangen in seinen Zwängen und Süchten, dass diese Anstrengung misslingt. Leicht lässt die Schuld dafür auf die Morphiumsucht der Mutter schieben. Nach dem Tod ihres kleinen Sohnes suchte sie Erleichterung ihres schlechten Gewissens. Auch der danach geborene "Ersatzsohn" Edmund verstärkte ihre Schuldgefühle als schlechte Mutter nur. Der Erstgeborene Jamie litt unter der Bevorzugung des Jüngsten und betäubt sich mit Alkohol. Der Vater James Tyron, Schauspieler von Beruf, gönnt der Familie statt des Zuhauses nur ein Sommerhäuschen, da man in der Theatersaison ohnehin von Hotel zu Hotel zieht.

In dieser günstigen Unterkunft auf dem Lande treffen alle vier nun in der Spielzeitpause zusammen. Die Mutter ist gerade von einer Entziehungskur zurück. Die Hoffnungen auf einem möglichen Neuanfang keimen. Umso stärker ist die Enttäuschung. Schon bald wird das erste heimliche Rezept aus der Apotheke besorgt. Wieder kreisen die Schnapsflaschen und die Schuldzuweisungen. Je nach Stand des Alkoholpegels werden die Wahrheiten auch ungefiltert dem anderen entgegengeschleudert. Verletzungen und Entschuldigungen wechseln sich sekundenschnell ab.

Thalheimer analysiert konzentriert und genau das Beziehungsgeflecht dieses familiären Chaos. In dem reduzierten Bühnenbild aus Tisch, Stühlen und Flaschen auf der leeren Drehbühne brilliert Victoria Trauttmansdorff als zerbrechliche Süchtige, die sich krampfhaft um einen Rest Fassade als liebende Mutter und Gattin bemüht. Peter Kurth schreit seine Gemeinheiten und seinen Egoismus mit Inbrunst heraus. Peter Moltzen steht ihm in Phonstärke in nichts nach. Der schlaksige Hans Löw gibt dem an Tuberkulose erkrankten Sohn schmerzlichen Tiefgang, der das Leiden an seiner eigenen Zukunftslosigkeit wie auch an der der Familie spüren lässt.

Birgit Schmalmack vom 6.5.05

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