Nietzsche in Amerika


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Zwei Grufties im Herbst ihres Lebens

Zwei Herren, die die besten Jahre schon hinter sich haben, treffen sich in einer vielleicht noch älteren Bar und geben sich den unerfüllten Sehnsüchte ihres Lebens hin. Zielpunkte sind die verlorene Heimat und Jugend und das weibliche Geschlecht. Doch dieses taucht zu ihrem Leidwesen nur in ihrer Fantasie auf und äußert sich ab und zu in einem vielsagenden, gehauchten Singsang, der aus einem Raum hinter einer Tür zu kommen scheint. Doch sie stellt sich als eine Attrappe heraus. So müssen der ungarische Schachspieler (Nicolas Rosat) und der polnische Bürstenspieler (Alexander Simon) mit ihrer kargen, morbiden Gesellschaft auskommen. Wenn der "new dear friend" zum gemeinsamen Mahl gebeten wird und der Schachkünstler seine echt ungarischen roten Paprika aus dem Aktenköfferchen holt, bekommt der Pole wehmütige Heimatgefühle und beteuert, dass dies die besten polnischen Paprika wären, die er je genossen hätte. Dies Glückgefühl geht allerdings bald in einem Hustenanfall unter, das wiederum den Ungarn mit diebischer Schadenfreude erheitert.

Unterstützt werden sie von den beiden hervorragenden Musikern Philipp Haagen und Olaf Kasimir, die den Gruftie-Touch mit hängenden Schultern und spinnwebenverhangenen Umhang und Haartracht bestens unterstreichen. Zur Kanalisierung ihres Weltschmerzes nutzen sie Gedichte von Nietzsche, die mit Musik von Satie, Tom Waits und Eisler zum interessanten Klang-Atmosphären-Bild werden.

Die beiden Könner illustrieren unter der kundigen Regie von Armin Petras, dass der Herbst eines Lebens der Totenstarre des eisigen Winters schon bedrohlich nahe kommen kann, wenn das Leben wenig Erfüllung bisher bereitgehalten hat. Doch lässt er die beiden Fast-Toten immer wieder zu neuen Energien kommen, wenn der geeignete Song zu ihrer Stimmung ertönt und sie sich gegenseitig mit den selbst kreierten Rhythmusinstrumenten begleiten können. Slapstick á la Marx Brothers kommt auch nicht zu kurz - so ist für skurrile, spannende und außergewöhnliche Unterhaltung der besonderen Gruftie-Art gesorgt.

Birgit Schmalmack vom 30.11.02