Immer flexibel bleiben

Theodor sucht nicht die interessanten sondern die angenehmen Frauen, da er der Theorie anhängt, dass erstere den Männern nur Probleme bereiten. Sein Freund Fritz wird mit seinen Erfahrungen diese Überzeugung bestätigen. Mit der anspruchsvollen, hingebungsvoll liebenden Christine verbandelt stürzt er sich in eine Liebesaffäre mit einer verheirateten Frau und sein Leben findet beim Duell mit dem fordernden Ehemannes sein frühes Ende. Diese heute scheinbar wenig aktuelle Geschichte "Liebelei" von Arthur Schnitzler nutzt Michael Thalheimer im Thalia Theater für eine höchst moderne Studie zum Thema "Liebes- und Bindungsfähigkeit" in seiner gewohnt konzentrierten und knappen Form. Sein Augenmerk gilt dabei hauptsächlich der Figur der Christine, die als einzige zur wahren Liebe fähig ist, während ihre drei Freunde anscheinend nur ihre Flexibilität unter Beweis stellen wollen. Die Vielzahl der sie verlockenden Möglichkeiten führt sie von der Einzigartigkeit einer Beziehung zur Beliebigkeit der vielen.

Ihre Haltungen drücken schon bei der Erstaufstellung vor ihren Großporträts auf der Bühnenleinwand aus, was ihnen in ihrem Leben wichtig ist. Theodor (Felix Knopp) und seine momentane Freundin Mizi (Fritzi Haberlandt) schlenkern über die Bühne, knicken selbst beim Stehen in der Mitte ab und brauchen jemand anderen zum Anlehnen - so wenig Rückgrat und eigene Festigkeit ist in ihrem Charakter zu finden. Zu sehr bemühen sie sich stets auf dem Sprung zum nächsten Spaß und Trend zu sein, als dass sie auf etwas Beständiges festlegen wollen. Fritz (Hans Löw) bemüht sich nach Kräften es ihnen gleich zu tun, doch seine gewollt lässige Haltung wirkt stets wie einstudiert und lässt den gekonnt lässigen Touch vermissen. Christine (Maren Eggert) dagegen steht kerzengerade in ihrer vollen Länge auf ihrer geradlinigen, eindeutigen Position. Wenn nur ihr viel zu schwerer Kopf nicht wäre, der immer wieder zur Seite rutscht. Sie bekennt sich klar zu ihrer Linie der bedingungslosen Liebe zu einem Menschen. Hintertürchen, die sie sich nach Belieben zur Umgehung der Risiken offen lässt, existieren für sie nicht.

In dem metallisch schimmernden schräg ansteigenden, leeren Betonkasten (Bühne: Henrik Ahr) sind die Personen ihrer eigenen Leere und der der anderen ausgeliefert. Die Männer schleichen sich auf weichen Kreppsohlen aus ihren Beziehungen, während die Frauen auf spitzen, harten Stöckelschuhen mit ihrem Klack-Klack jede ihrer Bewegungen verraten. Christine nimmt ihr Liebesschicksal stoisch gelassen hin. Als sie Fritz' Todesnachricht bekommt, erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das zunächst wie unnatürlich hineingemalt wirkt, dann aber in ein befreites Aufreißen der Arme mündet. Nun ist sie von dem ständigen, vergeblichen Warten auf eine Zuneigungsbekundung befreit. Sie ist die Erwartungshaltung, die sie an ihren geliebten Fritz band und meist bewegungslos an der Wand verharren ließ, los. Endlich hat sie Klarheit nach all dem diffusen Herumtändeln von Fritz, das sie in Hoffnung auf mehr ertragen hat. Diese Christine müsste sich nicht mehr wie im Originaltext  für den Tod sondern könnte sich vielleicht für ein eigenständigeres Leben entscheiden.

Thalheimer schafft es wieder einmal, einen überaus spannenden Extrakt aus einem Bühnentext zu ziehen, indem er ihn genauso verknappt wie die Bewegungen, die Sprechweise und die Ausstattung. So erzielt eine Eindrücklichkeit in seinem Blickwinkel und seiner Aussage, die in ihrer klaren Reduktion beeindruckt. Am Thalia fand er die Schauspieler, die genau diese fein akzentuierte Gestik und Mimik beherrschen und zur Wirkung kommen lassen. Nach der eineinhalbstündigen Premiere gab es für Thalheimer und sein Team den verdienten, einhelligen, begeisterten Beifall.

Birgit Schmalmack vom 30.11.02